Martin Friedrich Bühler, 20.02.2025 Gurlittstrasse 34, 20099 Hamburg, Tel.
040-2804695; 0175-6949967 Jumne / Jumneta Vineta / Wineta
Vorbemerkung:
Zur Lage der Stadt Vineta Auszüge aus: - Bischof Adam von Bremen: Hamburger Kirchengeschichte,
1075. - Helmold von Bosau: Slavenchronik, 1170. - Chyträus, David / Dauidis Chytraei: SAXONIA - ab Anno
CHRISTI 1500, 1599. - Crantzius: Wandalia (Lateinisch in Köln 1519; deutsch in
Lübeck 1600). -
Caspar Ens
[Hrsg.]: Deliciæ Apodemicæ. Colon., 1609. - Werdenhagen, Johann Angelius von: De rebuspublicis
Hanseaticis, 1631. - Bonnus, Hermann: Lübecksche Chronik, 1634 - Micraelius: Altes Pommern Land, 1640. -
Conrigius,
Hermanus: Exercitatio De Urbibus Germanicis, 1641. -
Merian: Stadt
Usedom, 1652. -
Johann Blaeu:
Atlas Maior, 1665. - Zedler: Grosses vollständiges
Universallexikon, 1735 - Selma Lagerlöf: Nils Holgersson, 1906. Kapitel 13: Die zwei Städte (Vineta und Visby) Vorbemerkung: Zur Lage der Stadt Vineta: Vineta war mutmaslich auf der Halbinsel
Gnitz (ggf. mit vorgelagerter Insel Görmitz und Bereich um die Insel, der
heute weniger als 2 Meter unter Wasser liegt im Achterwasser(da sich die
Insel im letzten Jahrtausend so viel abgesenkt haben dürfte): Herzog Philipp
I, gest. 1560, hat angeblich eine Gröse von 0,5 x 0,75 Meilen, d.h. 2,75 x
3,85 km vermessen): nur diese Region liegt in der Nähe der Stadt Usedom,
gleichzeitig „2 Meilen“ (2 x 5,5 km = 11 km) von Wolgast entfernt, 0,5 Meilen
= 2,75 km von der Küste bei Warthe entfernt und in der Höhe von Koserow: Zu diesem Lösungsansatz komme ich, wenn
ich die gesamten verfügbaren, aber über viele Quellen verstreuten
Informationen wie Puzzleteile zu einem einzigen Bild zusammenfüge. Wer von
Wolgast nach Wineta ging musste nach Damerow und konnte von dort übersetzen
(Damerow war ein Ort zwischen Koserow und Zempin an der Stelle, wo das
Achterwasser mehrfach zur Ostsee durchgebrochen war). Wer vom Westen über die
Stadt Usedom kam ging über Pudgala mutmaslich ebenso bis Damerow und setzte
über. Von Wollin aus gesehen war Wineta jenseits von Koserow. Diese
Teilinformationen sprechen zunächst für die Halbinsel Gnitz mit Insel Görmitz
als Lösung, das vor allem auch, weil diese Region 2 Meilen bzw. 11 km
(Luftlinie) von Wolgast entfernt ist. Dabei ist fraglich, ob die heutige
Halbinsel Gnitz tatsächlich über Land zu erreichen war oder ob ein
unüberwindbares Sumpfgebiet einen Zugang nur über den Wasserweg erlaubt hat:
gab es vielleicht einen Steg von der Ostsee bei Damerow durch das
Achterwasser bis Görmitz bzw. Gnitz? Vineta soll aber auch eine halbe Meile
(2,75 km) – von der Stadt Usedom aus gesehen – vom Ufer (mutmaslich bei
Warthe) entfernt gewesen sein. Auf jeden Fall aber soll Vineta auf der Insel
Usedom gewesen sein und damit weder auf der Seite von Wolgast noch auf der
Insel Wollin. Die Stadt Wollin soll nach Untergang von Vineta dann (wohl im
12. Jh.) die gröste verbliebene Stadt gewesen sein, aber davor (bis
einschliesslich 11. Jh.) soll jedenfalls die Stadt Vineta „die gröste Stadt
von ganz Europa“ gewesen sein, auch wenn das weder die absolute geographische
Gröse noch die kulturelle Grösse noch den zugrunde liegenden Europa-Begriff
zu definieren vermag. 1170 sollen noch Ruinen vorhanden gewesen sein,
Baumaterial soll nach Gotland zum Bau der neuen Seehandelsmetropole (und dem
neuen masgeblich Ort für Seerecht) Wisby abtransportiert worden sein. Um ca.
1500 soll dann oberflächlich überhaupt nichts mehr nachweisbar gewesen sein
von dieser untergegangenen Stadt, allerdings wird noch im 17. Jh. davon
geschrieben, dass zuletzt noch (unter Wasser? oder doch flussabwärts
unterhalb des Achterwassers?) regelmäsige Strasenzüge auszumachen gewesen
wären: ob das zu der Zeit noch so war oder ob es Abschriften von
mittelalterlichen Hinweisen waren, die nur zitiert wurden (ohne das als Zitat
kenntlich zu machen) ist nicht bekannt, aber es soll bis zuletzt in den
Klöstern dazu Informationen gegeben haben, also ggf. Pudgala und Stolpe als
den vielleicht bekanntesten und wichtigsten Klöstern dort. Die letzten 2 bis
3 Jahrhunderte (und damit seit Ende der alten Habsburger und mit Beginn der
Habsburg-Lothringer, jedenfalls spätestens mit der französischen Revolution)
soll die letzte Kenntnis, wo genau Vienta war, erloschen sein. Tatsächlich
wird in Quellen bis Mitte des 17. Jh. aber doch noch relativ genau zur Lage
von Vineta geschrieben und offensichtlich sind sich die Autoren – auch wenn
sie das nicht explizit schreiben – im Klaren, wo die historische Stätte ist,
auf der die Stadt stand. Die Stadt soll bis zum Untergang nicht (lateinisch-)
christlich gewesen sein, aber natürlich war sie noch viel weniger unchristlich
(eher ur-christlich), vielmehr werden die Menschen als die edelsten und
vornehmsten überhaupt beschrieben, so dass es eine
vor-(lateinisch-)christliche Stadt im positiven Sinne gewesen ist.
Gleichzeitig wird der Untergang dieser Stadt dann aber doch auch wiederum von
späteren Christen als Paradigma dafür genommen, dass eine unchristliche,
verwerfliche, streitsüchtige, uneinige Bevölkerung auch die reichste und
gröste Stadt ganz schnell völlig zugrunde richten und für immer ganz
untergehen lassen kann. Vieles spricht dafür, dass die Stadt mit Beginn der
Stauferzeit nicht mehr bestanden hat, sie ging also paralle zur salischen
Kaiserdynastie / Rothen Kaisern bzw. infolge des Schismas von 1054 unter
(seither ist das „Land der Rus / Rothen / Crauts / Chorabaten“ nicht mehr
frei passierbar?): fraglich könnte sein, ob Vineta dem (in der Chronik der
Stadt Rottenburg von 1609 erwähnten) Landsort (ohne Hinweis, wo dieses
Landsort war) identisch ist, das im Jahr 1112 bei Erdbeben in einer
verheerenden Sturmflut untergegangen sein soll. Alle bisherigen Vineta-Theorien würden
damit einen Teil der ehemaligen Wirklichkeit und Wahrheit enthalten, aber
nicht tief genug schürfen. Die jüngste Vineta-Theorie, die Barth-Theorie,
würde die langobardische Tradition (Lango-Barden als alanische Parthen, daher
Stadtname Barth?) der Stadt Barth zur Lösung beitragen, weil mutmaslich diese
vorchristliche Stadt Vineta noch in der originären Tradition der
Stifter-Dynastie des spät-antiken Christentums verblieben war: das war die
parthische Dynastie und seit dem 1. Jh. deren Ableger, die alanische
Parthen-Dynastie bzw. armenische Arsakiden-Dynastie (bis 420 n.Chr., dann als
herakleiische Dynastie 610-711 n.Chr. in Byzanz-Konstantinopel); jüngste
Einsichten könnten alternativ Ermanerich als Stifter des Spätantiken
Christentums plausibel erscheinen lassen, wobei er sein eigenes Reich um Kiew
(als MIDGARD) ab 330 von Galata aus mit dem Reich der Konstantinischen
Dynastie (als ASGARD) und zusätzlich dem Sassaniden-Reich (als UTGARD) bis
375 gemeinsam regiert / angeführt hat. Die Wollin-Theorie würde um die nach
Untergang von Vineta verbliebene gröste Stadt wissen und wäre der Zugang von
der slawischen Seite bzw. Tradition aus. Die Koserow-Theorie würde noch
wissen, dass die Stadt Vineta von der Stadt Koserow aus als Insel im Meer zu
sehen war, aber es wäre eben nicht die Ostsee (mit dem sog. Vineta-Riff),
sondern die Landseite mit dem Achterwasser und der Insel Görmitz und
Halbinsel Gnitz. Die Ruden-Theorie würde quasi die Rekonstruktion von Wisby
aus sein, denn dorthin ist ja Baumaterial transportiert worden und dorthin
ging die Bevölkerung mit ihrer Kompetenz auch im Seerecht und
Seehandelsrecht. Bekannt ist, dass Holz, das immer unter Wasser blieb, nicht
verrottet, was aber über Wasser bzw. über dem Grundwasser war, ist verrottet.
Wenn also bis vor einem Jahrtausend dort noch rege gebaut wurde und auch
Holz-Anlagen im Wasser errichtet wurden (Landungsstege?), dann müsste alles,
was damals dann ab dem 12. Jh. über Wasser und über Grundwasser war
tendenziell verfault sein, alles darunter heute noch vollständig erhalten
sein: findet man also diese Schicht bzw. die Ebene, unterhalb der alles Holz
aus dem 10. und 11. Jh. (datierbar durch Dendrochronologie) erhalten ist, hat
man in etwa die Wasserlinie bzw. Grundwasserlinie. Zu bedenken ist allerdings
die natürliche Schwankung des Wasserspiegels zwischen Hochwasser und
Niedrigwasser bei Trockenheit. Der Umstand, dass das Achterwasser und damit
der Peenestrom mehrfach bei dem ehemaligen Ort Damerow (zwischen Zinnowitz
und Koserow) durchgebrochen ist, und damit quasi der Wasserspiegel des
Achterwassers identisch war mit dem der Ostsee, ist auch noch zu
berücksichtigen. Ausserdem ist zu beachten, dass sich dort geologische
Hebungen und Senkungen im Verlauf des Peenestromes ereignet haben bis zu 2
Meter (Absenkung der Insel Usedom, Hebung der Insel Rügen, so eine
persönliche Mitteilung von Dr. Förster, Ozeaneum Strahlsund), so dass der
Verlauf des Peenestromes früher anders war, d.h. vermutlich waren Usedom und
Rügen (bis Anfang des 12. Jh.?) noch über eine Landbrücke verbunden, so dass
der Ausfluss des Peenestromes nicht im Greifswalder Bodden war, sondern der
Strom zwischen Festland und Rügen weiter floss um dann westlich von Rügen in
die Ostsee zu münden (so jedenfalls wird bis heute Ptolemäus interpretiert
mit seinen geographischen Angaben zur Odermündung). Fraglich könnte auch
sein, ob der Wasserspiegel im Achterwasser höher gewesen sein könnte bevor
der Norden von Usedom sich senkte und sich Rügen gehoben hat und deshalb die
Stadt unter Wasser zu sehen war, also ggf. die Insel Görmitz zeitweise ganz
unter Wasser war mit den benachbarten Gebieten der Halbinsel Gnitz? Genau wie
die folgenden Texte Abschreibfehler aufweisen, ist das auch geschichtlich
belegt, und es gab bei Abschriften teils Umbenennungen und Umformulierungen
in die zeitgenössische Schriftsprache und Terminologie, wo dabei ggf. teils
der Text bereits fehlinterpretiert wurde. Deshalb gibt es enge Grenzen für
die Interpretation der Texte, so dass unterschiedliche schriftliche Quellen
und unabhängig davon weitere Methoden mit Quellwert (Kunst, Archäologie,
Numismatik, Architektur, Religion, Kultus, Geographie, Geologie, Flora und
Fauna, etc.) heranzuziehen sind. Wenn hier also möglichst alle Quellen
herangezogen werden, aber doch eher vorsichtig bezüglich des Quellwertes
bearbeitet sind, so ist das diesem Umstand geschuldet. Entsprechend ist das
natürlich eine erste konstruktive Kritik an den bisherigen Vineta-Theorien,
damit aber natürlich nur eine Aufforderung sie weiter zu verbessern. Offensichtlich war allerdings auch
schon im 11. Jh. umstritten, was es nun tatsächlich mit dieser Stadt Vineta
auf sich hat. Zieht man die publizierten Ergebnisse (und weitere persönliche
Mitteilungen) von Biermann, Göttingen, heran, lässt sich ausschliessen, dass
Vineta eine Stadt war wie das archäologisch ansatzweise erschlossene Wollin,
weil aber ja bereits im 11. Jh. alles umstritten war (und nur deshalb gibt es
ja diese Anmerkung in der Hamburger Kirchengeschichte von Bischof Adam von
Bremen von 1075), war vielleicht sein damaliger Begriff von einer „Stadt“ ein
anderer Begriff als der heutige Begriff von einer Stadt, die eine ganzjährig
bewohnte Wohn- und Arbeitsstätte von Familien mit sämtlichen staatlichen
Einrichtungen (Polizei, Kultus und Grablegen mit Grabpflege samt Ahnenkult im
Rahmen von Religion als Institution, ect.) meint: es gibt auch die aufgrund
der natürlichen Gegebenheiten vorgegebene nomadische Lebensweise, wo die
Futterquelle für die Tiere die jahreszeitlich wechselnden Wohnorte nur für
die Hirten oder die ganzen Familien (oft die unterste Gesellschaftsschichte
von Familienclans, die oft weit entfernt ihre festen Sitze in Städten haben)
vorgeben, und es gibt reine Handelsniederlassungen, die – als
Seehandelsniederlassung – nur jahreszeitlich angefahren werden können. Es
gibt Belege für sehr grose Siedlungskerne mit starker Befestigung in den
Steppengebieten der Ukraine und Südrusslands (z.B. Belsk, persönliche
Mitteilung von Frau Prof. Rolle, Europäische Vor- und Frühgeschichte), die
auch nur jahreszeitlich als Stadt genutzt wurden und nie eine Bebauung mit
festen Häusern hatten, also wohl eher vergleichbar waren mit nomadischen
Zeltstätten oder den „Zelt-Lagern“ mittelalterliche Kreuzritterheere u.ä.. Es
könnte also ein Handels-Aussenposten des gesamten Ostens ganz im Westen
gewesen sein, der auch für den Handel sowohl der skandinavischen Händler bzw.
des gesamten Ost- und Nordseehandels als auch der Kontinentalen Händler (über
die Oder) offen gewesen wäre. Diese Lesart aber ist nicht die von meiner
Seite vorgegebene Lösung, sondern nur ein beliebiges Denkmodell, was man sich
möglicherweise unter „dieser grösten Stadt von ganz Europa“ vorstellen muss,
wenn es nachweislich keine Stadt mit heute üblichen Verständnis von Stadt
gewesen sein kann (mangels entsprechender archäologischer Evidenz),
gleichzeitig aber doch das immer wieder betonte Strasennetz hatte, das
offenbar besser war als alles andere (auch die Wohnmöglichkeiten) und am
längsten überdauert hat, es würde den „See-Festungs-Charakter“ erklären, weil
dort höhere Wert als Handelsgüter zumindest temporär vorhanden waren als
sonst in Wohnstädten mit Arbeitsstätten, und vielleicht war es der
überwiegende (halbjährige) Arbeitsplatz – Arbeit für Handelsgehilfen – der
Wohnbevölkerung in den umliegenden nachgewiesenen Städten (wie Wolgast,
Usedom oder Wollin wie viele andere), und auch das ist keine Lösungsskizze,
sondern bestenfalls eine Fragestellung. Das Ende dieser Stadt würde also eher
der politischen Realität Rechnung getragen haben, dass durch die
Ostkolonisation die Westbindung der Region einsetzt, während gleichzeitig
(oder sogar ursächlich für diese Option der Ostkolonisation) der Osten diesen
äussersten westlichen Vorposten aufgibt, weil dieser Fernhandel nach Westen
nicht mehr lukrativ, nicht mehr notwendig, oder teils auch nicht mehr möglich
ist, weil die Fernhandelswege (durch das Reich der vorausgegangene Rus, mit
denen gemeinsam bis 1054 die Ökumene als Familien-Handels-Netz seit Kaiser
LEO I der Gepidisch-Dakisch-Thrakischen Dynastie) nicht mehr sicher genug
waren? Vielleicht ist aber ja tatsächlich 1112 n.Chr. die Landbrücke von
Usedom nach Rügen gebrochen, und das hat das Ende der Stadt Vineata
eingeläutet (die Stadt war damit nicht mehr weit genug von der Mündung
entfernt?). Vergleichen Sie dazu gerne
auch: Rainer-Maria
Weiss und Anne Klammt (Hrsg): MYTHOS HAMMABURG. Archäologische Entdeckungen
zu den Anfängen Hamburgs (im 8. bis 12. Jh.). Veröffentlichung des
Helms-Museums, Archäologisches Museum Hamburg, Stadtmuserum Harbureg Nr. 107,
2014. ISBN 978-3-931429-27-0 Mit
Beiträgen u.a. von Dr. Karsten Kablitz,
und Dr. Felix Biermann: Im
Gespräch und Gedankenaustausch mit ihnen 2005/06 (Kablitz) und 2014 (Biermann)
habe ich meine Vorstellungen entwickelt und ausformuliert. Herr Kablitz hatte
darüber hinaus den Kontakt zu Dr. Förster hergestellt: So
stand ich im Kontakt und Austausch mit Dr. Förster (heute Ozeaneum
Strahlsund) 2006-2013; Dr. Schmidt (Landesamt für Denkmalpflege
Mecklenburg-Vorpommern) 2008-2013 (er hatte mich zuletzt an Dr. Biermann
empfohlen); Herrn Dr. Rainer Kuhn (Domgrabung Magdeburg) 2009-2014; Frau
Roggow (Museum Wolgast), 2011 ff; u.a. Erste
kryptische Hinweise auf uralte Literatur (in einer alten Publikation von
Merian zur Stadt Usedom) hatte für mich die (Handschriften-Abteilung der)
Staats- und Universitäts-Bibliothe Hamburg (SUB) entschlüsselt: dort konnte
ich auch diese sonst nur sehr schwer zugänglichen Quellen einsehen (und exzerpieren). „Hamburger
Kirchengeschichte“ von Adalbert von Bremen (von 1075) „(21.) Das Slawenland, Germaniens
weiträumigste Landschaft, wird von Winilern bewohnt, die frü-her Wandalen
hiessen. Es soll zehnmal so gros sein wie unser Sachsen, zumal wenn man auch
Böh-men und die Polen jenseits der Oder mit zum Slawenlande rechnet, die
weder in ihrem Äusseren noch in ihrer Sprache anders sind. Dieses Land nun ist
sehr reich an Waffen, Männern und Früchten; ringsum schliessen es schützende
Bergwald- und Flussgrenzen ein. In der Breite erstreckt es sich von Süden
nach Norden von der Elbe bis ans Skythenmeer. Seine Länge aber erweist sich
als so gros, dass es sich von unserem Hamburger Sprengel an ostwärts in
endlosen Räumen ausweitet und bis nach Baiern, Ungarn und ans Byzantinische
Reich erstreckt. Die Zahl der Slawenstämme ist beträchtlich; von Westen her
kommen zunächst die den nordelbischen Sachsen benachbarten Wagrier; ihr
Vorort ist der Seehafen Oldenburg. Dann folgen die Obodriten, die heute auch
Rereger heissen, mit ihrem Vorort Mecklenburg. Weiter sitzen auf uns zu die
Polaben; ihr Vorort ist Ratzeburg. Hinter ihnen sie-deln die Linonen und
Warnaben: Dann kommen die Kesiner und Circipanen, die durch die Peene von den
Tholoxanten und Redariern geschieden sind; ihr Vorort ist Demmin. Dort liegt
die Grenze des Hamburger Sprengels. Zwischen Elbe und Oder gibt es noch mehr
Slawenstämme, zum Beispiel die Heveller an der Havel, die Dossaner, Lebuser,
Wilinen, Stoderanen und viele anderen. In deren Mitte sind die mächtigsten
von allen die Redarier; ihr weit berühmter Vorort ist Rhetra, der Hort des
Teu-felsglaubens. Dort steht ein großer Tempel ihrer Götzen, deren oberster
Radegast ist. Sein Bild ist aus Gold gefertigt, sein Lager von Purpur. Die
Burg selbst hat neun Tore und ist ringsum von einem See umgeben. Ein
Knüppeldamm gewährt Zugang, aber er darf nur von Leuten betreten werden, die
opfern oder Orakelsprüche einholen wollen; das deutet vermutlich darauf hin,
daß die verlorenen Seelen der Götzendiener ganz zu Recht "neunfach der
Styx umfliesst und einschliesst". Die Entfer-nung bis zu diesem Tempel
soll von der Stadt Hamburg aus vier Tagesreisen betragen. (22.) Hinter den
Luitzen, die auch Wilzen heissen, trifft man auf die Oder, den reichsten
Strom des Slawenlandes. Wo sie an ihrer Mündung ins Skythenmeer fließt, da
bietet die sehr berühmte Stadt Jumne für Barba-ren und Griechen in weitem
Umkreise einen viel besuchten Treffpunkt. Weil man sich zum Preise dieser
Stadt allerlei Ungewöhnliches und kaum Glaubhaftes erzählt, halt ich es für
wünschenswert, einige bemerkenswerte Nachrichten einzuschalten. Es ist
wirklich die gröste von allen Städten, die Europa birgt; in ihr
wohnen Slawen und andere Stämme, Griechen und Barbaren. Auch die Fremden aus
Sachsen haben gleiches Niederlassungsrecht erhalten, wenn sie auch während
ihres Aufenthalts ihr Christentum dort nicht öffentlich bekennen dürfen. Denn
noch sind alle in heidnischem Irrglauben befangen; abgesehen davon wird man
allerdings kaum ein Volk finden können, das in Lebensart und
Gastfreiheit ehrenhafter und freundlich ist. Die Stadt ist angefüllt mit
Waren aller Völker des Nor-dens, nichts Begehrenswertes oder Seltenes fehlt.
Hier steht ein "Vulkanstopf", die Einwohner spre-chen von
"griechischem Feuer", auch Solinus gedenkt seiner. Hier zeigt sich
Neptun in dreifacher Art, denn die Insel wird von drei Meeren umspült, eins
davon soll von tiefgrünem Aussehen sein, das zweite weisslich; das dritte
wogt ununterbrochen wildbewegt von Stürmen. Von dieser Stadt aus setzt man in
kurzer Ruderfahrt nach der Stadt Demmin in der Peenemündung über, wo die
Ranen wohnen. Von dort kommt man nach Samland, das sich im Besitz der Pruzzen
befindet. Die Reiseroute ist so beschaffen, daß man von Hamburg und der Elbe
aus über Land in sieben Tagen die Stadt Jumne erreichen kann; für die
Seereise muß man in Schleswig oder Oldenburg zu Schiff gehen, um nach Jumne
zu gelangen. Von dieser Stadt aus kommt man in 14 Tagen Segelfahrt nach
Nowgorod in Russ-land. Dessen Hauptstadt ist Kijw, das mit der Kaiserstadt
Konstantinopel wetteifert, eine herrliche Zierde Griechenlands. - Die oben
genannte Oder entspringt tief in den mährischen Bergen, wo auch unsere Elbe
ihren Anfang nimmt; ihre Quellen sind nicht weit voneinander entfernt, aber
sie fliessen nach verschiedenen Richtungen. Der eine Strom, die Oder, wendet
sich nach Norden und fliesst mit-ten durch die Wendenstämme, bevor er Jumne
erreicht, wo er Pommern und Wilzen scheidet; der andere, die Elbe, fliesst
nach Westen, bespült auf seinem Wege zunächst Böhmen und das Sorben-land,
scheidet im seinem Mittellauf die Heiden von Sachsen, trennt im Unterlaufe
den Hamburger vom Bremer Sprengel und mündet stolz in die Britensee. (23.)
Mit diesen Angaben über die Slawen und ihr Land, die durch Ottos des Großen
Macht damals alle zum Christenglauben bekehrt wurden, mag es genug sein. Nun
will ich meine Feder den Ereignissen nach des Kaisers Tode in der restlichen
Zeit unseres Bischofs zuwenden." Helmold von Bosau: Chronik der Slaven. Von 1170. Übersetzt
von J. M. Laurent und W. Wattenbach. Herausgegeben
von Alexander Heine. Essen
und Stuttgart: Phaidon Verlag, 1986. Buch
I
Vorrede 1.
Von
der Gliederung der Slawenvölker 2.
Von
der Stadt Jumneta … 76. Vom Markt
der Stadt Lübeck Buch
II 2.
Von
der Stadt Jumneta Wo also Polen endet, kommt man zu einem sehr
ausgedehnten slavischen Lande, nämlich zu denen, die vor alters Wandalen,
jetzt aber Wenden oder Winuler genannt werden. Die ersten derselben sind die
Pommern, deren Wohnsitze sich bis an die Oder erstrecken. Diese ist der
wasserreichste Fluss im Lande der Slaven; sie entspringt tief im Innern des
Waldes der Mähren, welche im Osten von Böhmen wohnen, wo auch die Elbe ihren
Ursprung hat. Auch sind sie anfangs gar nicht weit voneinander entfernt, aber
sie schlagen verschiedene Richtungen ein. Die Elbe nämlich fliesst nach
Westen zu und bespült in ihrem Oberlaufe die Länder der Böhmen und Sorben,
trennt in ihrem mittleren Laufe die Slaven von den Sachsen, und indem sie am
Ende der Bahn den Hamburger Kirchensprengel von dem Bremer scheidet, ergiesst
sie sich siegreich in den britischen Ozean. Der andere Fluss, die Oder,
wendet sich nach Norden, fliesst mitten durch die Stämme der Winuler
hindurch, und trennt die Pommern von den Wilzen. An der Mündung
derselben, wo sie das Baltische Meer berührt, lag einst die sehr angesehene
Stadt Vineta, welche den Barbaren und Griechen, die ringsumher wohnen, einen
vielbesuchten Mittelpunkt des Verkehrs darbot. Da zum Preis dieser Stadt
grosse und kaum glaubliche Dinge erzählt werden, so will ich davon einiges,
was Erwähnung verdient, mitteilen. In der Tat war sie die gröste von allen
Städten, die Europa einschliesst; in ihr wohnten Slaven und eine andere
gemischt Bevölkerung von Griechen und Barbaren. Auch den Sachsen, die dorthin
kamen, erhielten die Erlaubnis, daselbst mit zu wohnen; freilich nur, wenn
sie währen ihres Aufenthaltes daselbst sich nicht öffentlich als Christen zu
erkennen geben wollten. Denn bis zum Untergange der Stadt waren alle Bewohner
derselben im Irrwahne heidnischer Abgötterei befangen, übrigens war, was
Sitten und Gastlichkeit anlangt, kein ehrenwerteres und gutherzigeres Volk zu
finden. Jumneta, reich durch die Waren aller Nationen, besass alle möglichen
Annehmlichkeiten und Seltenheiten. Diese so wohl begüterte Stadt soll ein
König der Dänen mit einer sehr grosen Flotte heransegelnd, von Grund aus
zerstört haben. Noch jetzt sind von jener alten Stadt Überreste vorhanden.
Dort zeigt sich das Meer in dreifacher Art; jene Insel wird nämlich von drei
Gewässern umspült, deren eines von ganz grünem Aussehen sein soll, das zweite
von weisslichem, das dritte wird aber unaufhörlich von wütenden Stürmen
bewegt. Es gibt auch noch andere Völker der Slawen, welche zwischen Oder und
der Elbe wohnen und weit hinunter nach Süden sitzen, wie die Heruler oder
Hevelder, welche an der Havel und der Dosse wohnen, Leubuzen, Wilinen und
Stoderanan nebst vielen anderen. Hinter dem ruhigen Laufe der Oder also und den
verschiednen Stämmen der Pommern gegen Westen tritt das Land der Winuler uns
entgegen, derer nämlich welche Tholenzer und Redarier genannt werden ihre
allbekannte Burg ist Rethre, ein Sitz der Abgötterei. Dort ist den Götzen,
deren vornehmster Redegast ist, ein groser Tempel erbaut. Sein Bild ist von
Gold, sein Lager von Purpur gefertigt. Die Burg selbst hat neun Tore, die
ringsum von einem tiefen See umgeben sind, eine hölzerne Brücke dient zum
Übergange, der jedoch nur denen, welche Opfer darbringen, oder Orakelsprüche
einholen wollen, gestattet ist. Darauf komt man zu den Circipanen und Kycinen,
welche von den Tholenzen und Rederern der Flus Peene und die Burg Demmin
trennen. Die Kycinen und Circipanen wohnen diesseits, die Tholenzen und
Redaren jenseits der Peene. Diese vier Völker werden wegen ihrer Tapferkeit
Wilzen oder Lutizen genannt. Über sie hinaus wohnen die Linguonen und
Warnaven. Auf diese folgen die Obotriten, deren Burg Mecklenburg ist. Darauf
folgen nach uns zu die Polaben, ihre Burg ist Ratzeburg. Dann kommt man über
den Travelflussin unser, das wagrische Land. Die Burg dieses Landes war einst
das am Meer liegende Aldenburg (Anmerkung: Oldenburg in Holstein, im
Unterschied zum heute bekannten Oldenburg bei Bremen). Auch gibt es im baltischen Meere Inseln, welche von
Slaven bewohnt sind; deren eine heisst Fehmarn. Diese liegt den Wagriern
gegenüber, so dass man sie von Aldenburg aus sehen kann. Die zweite Insel,
die bei weitem grösser ist, liegt den Wilzen gegenüber und wird von den Ranen
bwohnt, welche auch Rugianer heissen, ein sehr tapferes Slavenvolk, die
allein einen König haben, und ohne deren Ausspruch in öffentlichen
Angelegenheiten nichts geschehen darf; so sehr werden sie wegen ihres
vertrauten Umganges mit den Göttern oder vielmehr Götzen gefürchtet, die sie
mit gröserem Aufwande verehren, als die Übrigen. Das also sind die Stämme der Winuler, verbreitet in den
Landstrichen und Ländern und Inseln des Meeres. Dieses Geschlecht ist dem
Götzendienst ergeben, immer unstet und beweglich und treibt Seeraub, in dem
es auf der einen Seite die Dänen, auf der anderen die Sachsen anfeindet. Oft
und auf vielerlei Weise haben daher grose Kaiser und Priester sich bemüht,
diese rebellischen und ungläubigen Völker irgendwie zur Erkenntnis Gottes und
zum Heile durch den christlichen Glauben zu führen. Chyträus, David: Dauidis Chytraei || SAXONIA,|| ab Anno
CHRISTI 1500.|| vs[que] ad M.D.XCIX.|| Recognita; et aliquot annorum
acceßione, et alijs || Historijs aucta.|| Additus est INDEX Personarum et
rerum maximè || insignium copiosiss.||. - Leipzig :
Lantzenberger, Michael ; Grosse, Henning, 1599 (Michael Lantzenberger. -
Leipzig (1590-1612)). - [12] Bl., 994[=989], [1] S., [11] Bl. : Ill. (Holzschn.)., Druckerm. ; 2 Einheitssachtitel: Chronicon Saxoniae. - Beiträger: Rhodomann, Lorenz;
Reusner, Elias; Olearius, Johannes Vorlageform des Erscheinungsvermerks: 15 99 || LIPSIAE,|| Sumtibus
HENNINGI GROSII Bibliop.||(MICHAEL LANTZENBERGER || EXCVDEBAT.||) Langzeitarchivierung ULB Sachsen-Anhalt, Halle (Saale) [Online-Ausg.],
Halle, Saale : Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, 2010. -
(VD16 digital aus der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt) http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:gbv:3:1-112576 In proxima VVollinensi insula Vsedom,
quam Suenus Panis Al. concludunt, septem a Iulino versus occasum
milliaribus, duobus a vvolgasto sede principum Pemeraniae ultra Panim fl. ad
Dameroam pagum, sita olim fuit VVinetha, quam vetulstae cantilenae, et famaper monus posteris tradita, et scripta in
monastrijs reperta, ostendunt multis ante Iulinum annis, frequentia
commerciorum, magnificentia, optibus, et potential florentem, inundationibus
et tempertatibus marinis subersam esse. Quidam circa A. C. 830. Haldungum
Succiae regem cam euertisse, et portas vrbisaeneas
et alia monumenta, vna cum emporio, in Gottlandiam insulam transtulisse
arbitrantur. Ferunt coelo sereno, et mari placid, adhuc fundamenta quorundam
aedificiorum, et stratus ex filicibus, plateas, Sundij longitudinem
aequantes, conpici posse. Staats- und
Universitätsbibliothek, Handschriftensammlung Wandalia
von Albert Krantz (Crantz, Crantzius) in deutsch von stephanum
macropum gedruckt und verlegt von
laurenz albrecht in lübeck 1600 [band
2, kapitel IXX, seite 53, fortlaufender Text im Kapitel bis Kapitelende]: Aber
die Oder gegen Norden streckend / fleust mitten durch die Winulischen völker
/ vnnd scheidet die Pommern von den Wilzen. Im außgange da sie ins Baltische
Meer steiget / hat die edle berümpte Stadt Vineta gestanden / daher die
Vormutung daß der Fluß Diuinaw den Nahmen behalten habe / da doch sonst kein
Wasser ist / das dem Namen nach diesem gleichet / es mochte dann sein das
gleich wie die beiden wasser Peen vnd Zwenaw / da sie durch einen grossen
stehenden See gerunnen / ihren Nahmen / den sie in solchem see verloren /
wieder erlangen / also auch die Diuinaw / so ein fluß des Sees / ihren Nahmen
von der Stadt bekomme / sonsten wuste ich nicht / woher sie ihn haben solte /
sonderlich weil Helmoldus saget / daß die Stadt am ausgang der Oder am Meer
gelegen / das zwar der Fluß Dinaw mit der Oder vbereinkommet / vnd doch den
Nahmen von der Oder nicht empfenget / darum glaublich / daß sie ihne von
besagter ehemals herzlichen Stadt trage / dauon jetzo nicht einzige anzeig
oder stuck mehr verblieben / vnnd keinem wort gedenket. Diß wenige the ich zu
dem Zeugnis von Helmoldi / jetz verfehret er weiter: Wineta ist vor zeiten
die hochberuhmste Stadt gewesen / in ihrem Begriff / mit herzlichen Haffen
vor der Griechen und Barbaren Schiffe / solliche dinge zusagen pfleget / will
ich das vornembste / so anmerken wert / hier setzen und erzelen. das
XX. cap. Wineta
/ sagt er / ist vnter allen Städten in gantz Europa die gröseste und
herzlichste gewesen / darin die Griechen vnd Barbaren / mit andern völkern
ihre wohnung gehabt / wie denn gleichfalls auch die Sachsen / wiewoll sie
frembdlinge / frey gestanden / ihre Hantierung daselbst zu treiben /
wenn nur sie vnd andere / die da zuhandlen vorhabens / von ihrem Glauben
keine meldung theten. denn sie in den Heidnischen Aberglauben / biß zu ihrem
endlichen Vntergang sich verstiegen / vnd darob gehalten: Sonsten ist kein
freigebiger / ehrlicher noch gutherziger Volck gefunden worden. Was man von
allerhand Nationen / köstlichen vnd seltsamen Wahren begerte / war darinne zu
kauffe. Das Meer vmbs Land / darauff sie gestanden / ist dreyerley Arth /
auff der einen seiten / Gründunker / auff der anderen weißgemengter Farbe /
vnnd am dritten Orth sturmet vnd wütet es allzeit gleich hefftig vnd
grewlich. sie hat aber ihreb Nahmen gehabt / von den Winulen die im Lande
gewohnet / man wolte denn / dz die Winulischen Völcker den Nahmen von der
Stadt bekommen hetten. Vnd sagt man / daß sie endlich ein König z Dennmarcken
/ durch eine mechtige Armad auf den grunde soll geschleifft vnd der Erden
gleich gemacht haben / welchen Unfall vnd Untergang die Einwohner der Stadt
selber mit ihrer Bürgerlichen Uneinigkeit vnd trennung / so aller Städte
schändlichste Pest vnd Krankheit ist / wodurch auch die aller gewaltigsten
vnd vornembsten / so je in der Welt gegrunet / zu Asche worden / verursachet.
Denn die Gothen / Wenden / Sachsen vnd andere Nationen drinnen sich
aufhaltend / empöreten sich selber gegen ein ander / vnnd wolten immer eine
die ander durch die ehrgeizige Hochheit vnterdrücken /und den Primat an
sich ziehen. daher rufen die Gothen ihren König Haraldum in Schweden vmb
Beystand an/ der reizete ferner zu solcher Kriegs gesellschafft Hemmingum
König in Dennemarcken / der bey zeiten Caroli der Francken vnd Teutschen
Königs / hernach auch regierenden Kaisers oder doch nicht weit dauon gelebet.
Diese beide Könige fügten sich vnd ihr Volck zusammen / stürmten vnd gewunnen
die Stadt / gaben sie folgends den Landsknechten preiß / vnd rissen sie in
den grundt. Das aber Saxo der Dähnische Geschichtsschreiber diesen Zug nicht
meldet / kompt wegen Vnrichtigkeit der Zeit her / darauff er seiner Historien
wenig mit fleiß gemercket. An statt dieser / gleub ich / daß Wißbüj in Gottlandt
in bawliche besserung vnnd gedeihen auffkommen / welche / wie zusehen / auch
ehemals ein vberauß reiche Stadt; vnd alß Wineta zerstöret / aller in dem
Vmbkreis belegenen Gothen / Dänen / Wenden / Reussen / Sachsen / Sember /
Preussen / Liffländer vnd anderer domals blühenden Nationen gemeine werb:
vnnd handelstade gewesen. Ich sehe aber nicht / was gestalt die Griechen /
alß Helmoldus von ihnen fürgibt / an diesem Arm des Meers schiffen können?
denn Griechenland an den Mitternächtigen Gestaden Europae / weichet gantz
nach dem Mittelmeer der Welt / welches vns / die wir gegen Norden wohnen /
zur rechten Handt liget. Der Edlen Stadt Wißbüj vornehmes Alter vnd
auffsteigen / bezeugen noch heute die stattlichen gewelbten Heuser / gantze
eiserne Thüren vnnd kupfferne Fenster / vnd daß man noch heutigs tags das
Seerecht daher erwartet. Uber diese sein noch mehr Wendische Völcker zwischen
der Elbe vnd Oder / die sich lang hin gegen Süden erstrecken / alß die
Herulen oder Evelden an der Hauell vnnd Daxe wohnend / Imgleichen die
Lembuser und Staderanischen Winulen / samptandern. so ligt nun die Winulische
Prouintz der jenigen / die Tolentzer oder Retharier genennet werden / an der
Oder / da sich da sich dieselbs etwz sterker ergeust / nechst den Pommern
Abendwerts / ihre bekanteste Stadt ist Rethram/ da der sitz ist ihrer
Abgötter / daselbst steht ein grosser Tempel dem Teuffel zu ehren erbawet.
Davon heisst der Heuptfürst Radegast / sein Bildniß ist auß Goldt / vnnd sein
Bette von Purpur auffgesprewet. Die Stadt hat an ihr Neun Pforten /
allenthalben mit einem tieffen gesümpff bevestigt vnnd vmgeben / darein gehet
man vber eine hölzerne Brücken / darüber allein / die so opffern oder etwas
erfragen wollen / hineingelassen werden. Hernach kompt man zu den Circipanern
vnnd Kissinern / welche der Fluß Peen vnnd die Stadt Wineta / auch die
Recipanischen Kissiner von den Tolentzern vnd Rheterern abtheilet. Die
Tolentzer wohnen disseit / vnnd die Rhetherer jenseits des Flusses /
jetztgemelte vier Völcker nennet man von ihrer stercke Wernawer. Darnechst
folgen die Obotriten / deren Stadt ist Meckelnburg / näher vns zu sein die
Polaben/ ihre Stadt Ratzeburg / dannen reiset man vber die Traue in vnser
Wagerland / daß jetzo Holstein heisset / die Stadt in diesem Lande ist Altenburg
gewesen / an der See belegen / alßoben erholet. (ende kapitel 20) Deliciæ Apodemicæ / Caspar Ens
[Hrsg.]. - Colon., 1609 Nebent.: Deliciarum Germaniæ,
tam Superioris quam Inferioris, Index SUB Hamburg, Ausgabe:
Handschriften-Lesesaal DELICIARVM GERMANIAE, TAM
SVPERIORIS QUAM INFERIORIS, INDEX: simulet via torius, indicans itinera ex
Augusta Vindel. ad omnes ciuitates et oppida, tam in Superiori quam in
Inferiori Germania, nec non ad praecipuas vrbes Daniae, Norwegiae, Sueciae,
Prussiae, Liuoniae, Moscouiae, Poloniae et Hungariae; Item, Constantinopolim,
Nicaem, Ancircam et Amasiam, Prusam, Acharam, Iconium, Heracleam, Adenam,
Halepum, et c. Vsque Damascum, Capharnaum, Nazareth, Hierosolymas, Gazaram,
et Cairum. COLONIAE, Apud VVilhelmum Lutzkirchen. Anno
M.DC.VIIII. Illustriae Dominat. addetus
cliens Gaspar Ens L, C A N. P 277 Ens in delic. apodem. per German. p. 277. ITER AVGVSTA VINDEL. VVINETAM. Bellinische Fehre in
itinere VVitteberge a Treptouium numerantur
77. Gransoe 3. Furstenberg
2,5. Nemeravv 1. Furstensehe 1. Feldbergk
2. VValleck 2. Friedland 2,5. Scadefur 2,5.
o. Vsedom 2. Crinike 2. Pudgla 1. o. VVineta
2. Simul
100,5. VVINETAM vetustae
cantilenae, et fama per manus poster is tradita et scripta in monasterijs
reperta ostedunt multis ante Iulianum annis frequentia commerciorum,
magnificentia, opibus et potentia florentem, inundationibus et tempestatibus
marinis sujbmersam esse. Qidam circa annum a Chr. N. 830. Haldungum sueciae
Regem, eam euertisse et portas, vrbis aeneas, et alia monumenta, vna cum
emporio, in Gotlandiam insulam transtulisse arbitrantur. Ferunt coelo sereno
et placido, adhuc fundamentam aedificorum, et stratas ex silicibus plateas
Sundij longitudinem aequantes, conspici posse. Werdenhagen, Johann Angelius von:[De rebuspublicis Hanseaticis] Ioh. Angelij Werdenhagen, I.C.
De rebus publicis Hanseaticis tractatus generalis. - Lugduni Batavorum : Ex officina Ioannis Maire, 1631. - 4 v. Staats- und
Universitätsbibiliothek Hamburg, Signatur SUB A
1946/42994:3 (4 Bände insgesamt) Ausgabe: Handschriften-Lesesaal Joh. Angelii Werdenhagen. I. C. C. de
REBUS PUBLICIS HANSEATICIS et earum nob. Confoederatione Tractatus
specialis. Colonia. LUGDUNI BATAVORUM, ex officina Ioannis
Maire, 1631. PARS TERTIA (672) caput XXIII De civitatibus Vandal
Hanse in Pomerania situ. hinc nunc ad mare
progrediendo sequitur Stralsundium in Pomerania principalis inter
Hanseaticas civitas. ... (676) Vbi Odera fluv. qui Ptolomaeo diciture Ouiados est, et alius Viadrus
dicitur Stetinum praeterlabens in mare Balticum deproperare incipit, prius in
amplum aquarum spacium, quod ad 8. milliaria
longitudine et prope 4 latitudine se extendit, et Poaenam, Vkram fluv.
Ploenam, Inamque recipit, se effundit, vocaturque haec, Palus sive Stagnum
recens, aut Frisch Haff. Circa dimidiam partem huius Stagni perrumpit flumine
suo et duas Insulas nomine novo Suinae dirimit, quarum una versus occasum ad
sinistram partem vocatur Vsdomia 5 milliaribus se exporrigens versus Poaenam,
altera propter amoenitatem suam Wollinaeus Campus, sive Iulina dicitur. In
Usdomia hac olim sita fuit antiquassima et amplissima urbs Wineta, quam Helm.
In Chron. Sclav. Cap. 2 Vimnetam nominat, ubi per totam Europam
celebratissimum fuit Emporium, quam Vandali prima aedificarunt; de quibus
loquitur Scholion. ad Helmold Fuit sane, ait Helmoldus, maxima omnium, quas
quas Europa claudit, civitatum, quam incolunt Sclavi cum aliis gentibus
permixtis, Graecis et Barbaris. Etiam Saxones tum parem
habuetant cohabitandi licentiam; si tantum Christianitatis titulum ibi
comorantes non publicassent. Omnes enim usq, ad excidium eiusdem urbis,
paganicis ritibus oberrarunt. Caeterum moribus et hospitalitate, nulla gens
(N. B.) honestior aut benignior potuit inviniri. Civitas illa mercibus omnium
nationum locuples, nihil non habuit iucundi aut rari. et
c. Pauca sunt verba Helmoldi,
at sumae commendationis. Ecce enim, quid non libertas commerciorum fetat. O
utinam id Christiani quoque intelligerent, qui tam insipide adeo suas
constrictiones usque ad invidiam redigunt, ut neque pudeat eos, hominum
conscientiis imperare velle. Vrbs ea vasto admodum circuitu maxima ex
parte ad maris appoolsum exporrecta fuit. Iam vero fundamenta eius ultra
milliaris dimidium procul a terra obruta mari jacent, velut tum sub undis
perspici possunt, si quis ex Wolgast Damerow viam traiiciat: et apparent
rudera satis notabilia et splendide erecta, sed etiam ipsae platae poossunt
tueri, unde adhuc constat ex tali figura, ingentem urbis fuisse amplitudine.
Namque ea pars, quae minuta fertur, longe exuperat Lubeccam magnitutine quum
tamen mare potissimas absumpserit parrtes, quae non ampliusapparent. Discordia
interna prius dilapsam esse, aiunt; postea vero a rege Daniae ultra 850 Annos
abhincfunditus subversam. Vnde Sueones tunc navigiis suis ex Gotlandia
profectos esse, et, quicquid ex operosissimis eius urbis structures
marmoreis, ferreis aeneisque, aut ex in strumento stanneo, aereo, argenteo
salvari potuit, abactis vento aquis, eruisse, vel per urinatores eduxisse, et
in Gothlandiam transportasse; inter caetera vero aeneas duas maxima ponderis
portas eodem transtulisse, ferunt. Hincillae Wisbyensibus dividie splendidae,
quibus tanto sumptu tam fastuosas aedificaverant aedes, quae Noribensium et
Coloniensium palatia exuperarent. Altera in Insula Iulina dicta ab urbe
Iulino, quae similiter amplissimum habuit Emporium, paulo minoris tamen fuit
magnitudinis, quam Wineta. Huc itidem magnus fuit mercatorum et gentium
confluxus, et Finnonia, Sclavonia, Dania, Suecia, Graecia et Russia, et c.
quo etiam Circipani et Iudaei vnere, et singula natio suas singulares
incoluit plateas, ut distincta eo citius ad manus emptitibus essent
mercimonia. Ac licet edictum publicarit, quod Christianitat is non debet
fieri metio, tamen Anno 1124 urbs tota ab Ottone Episcopo conversat est, et
in initio 1139 baptizati sunt homines. Sueno III. Rex Danae, quum eam
infesaret toties, ter eius capturam expertus est. Vnde Woldemarus primus Rex
Dan. paulo ante obitum suum circa An. 1167, maxima classe per fluv. Divennum
ex insperato obruit urbemn et misere devastando omnia totam concremavit. Ex
quo tempore priori dignatari non potuit testitui praesertim quum mercatores
se ad alias civittates converterent; sed saltem rudera et arcis vallum adhuc
conspiciuntur, et ab eius loco non procul civitas Wollinum condita est, quae
hoc nomen Julinum ita mutatum accepit propter loci amoenitatem. Ruina harum
urbium per littus Balticum passim commercii frequentiam distribuit, et
homines reddere copit cautiores, ut inde in confoedetationem firmiorem ex hac
intentione coirent, ne facil iterum vicini reges libertatem commeriorum ex
invidia aut odio subverterent. Floruit pridem ante Iulino
xcitium quoque Stetinum, quod eius antiquidatis censetur, ut de auctore
genuino nihil certi affirmari possit, tamen supra ostensum est, quod Sedini
urbem hanc pridem ante Henerorum adventum, qui circiter Ann. 400. post Chr. nat. accidit condiderint. Quem vero in
commodissimo et amoenissimo situata esset loco, meruit non tantum caput dici
Pomerania; sed etiam Duces Pomeraniae sibi ad Oderam ibi sedem regiminis et
aulae elegerunt. Christinam relligionem admisere quidem Anno 1129, quum Dux
Bogislaus I. noctu civitatis muros conscendisset, et cives in Vratislai I.
Ducis sui devotionem plenam stratagemate hoc pertraxisset: sed quum non
posset vi ita quid perficere, Ottonem Episcopum Bambergiensem ad se vocavit,
cui commissionem informationis sanctioris obtulit, qui etiam Anno 1124 in apertis plateis, juxta D. Pauli morem, populum
informavit sedulo, et Idolon Trglaffi ipsis tandem expugnavit. Postquam Anno
1181. Christianisimus vigere ibi inceepisset, confluxus Saxonum in tanta ibi
fuit frequentia, ut etiaam urbem novo modo condere et disponere non
desierint, praesertim, quum illi ex statuto communi reliquarum civitatum
Sclavos a suiis societatibus et collegiis ac dignitatibus exclusissent, brevi
tempore commercia cuncta accreverunt. Annno1245. Dux Barnimus I. jure curiae
et plena jurisdictione eos donavit, jusque Magdeburgensium cum Scabinatus
civibus indulsit. Circa Ann. 1313. Wratislaus I. Dux VVolgastiae recuperavit
Stetinum a Cunrado I. … Bonnus, Hermann: Lübecksche Chronica Der fürnehmsten Geschichte/ und
Händel/ der Kayserlichen Stadt Lübeck / auff das kürtzeste verfasset und mit
fleiß verzeichnet. Lübeck 1634 SUB Hamburg, SUB-Signatur: A 1946/1984 (Druckausg.) Ausgabe: Handschriftenlesesaal Lübecksche
Chronik Der
fürnehmsten Geschichte / und Händel / der Kayserlichen Stadt Lübeck / auff
das kürzeste verfasset und mit fleiß verzeichnet durch M. HERMANNUM BONNUM,
Superintendent daselbst. jetzo aber auffs neu /aus dem Sächsischen ins
Hochdeutsch übersetzt. Gedruckt im Jahr Anno 1634. ... Das Erste
Buch / Vom
Anfange der Stadt Lübeck / biß sie Kayserfrey geworden ist. Das Land
darin Lübeck ist gelegen / hat man vormals Wandalia / das ist / Wendland
geheissen / und hat sich ungefehr gestreckt von Magdeburg an / biß an
Preussen / hernach / nach verlauff der Zeit / hat sich der Name Wandalia
verlohren / uns ein jeder Land einen eigen Namen nach seiner Gelegenheit
bekommen und auch behalten. wiewol
aber nun zur Zeit / Lübeck die fürnembste und gröste Stadt ist / die in
Wandalia gelegen, so seynd doch auch vor der Zeit ehe Lübeck gebauet und so
berühmbt worden ist / in Wandalia nicht geringe Städte gewesen / von allerley
Handel und Kauffmanschafft / und fürnemlich zwo Städte / Wineta und Julinum. wineta ist
eine grosse und mächtige Kauffstadt gewesen in Wandalia / und gelegen
bey dem Wasser Tieffenawe am Meer / also daß sie zur Lage und allerley
Handlung so aldar getrieben / wol gelegen gewesen / welche Handlung darnach
zu Wißbu auff Gottland kommen ist / Dann nach dem die Stadt Wineta ist
verwüstet und verstört worden / ist Wißbu gebauet / und durch die grosse
Niederlage der Kauffmanschafft mächtig geworden. Wineta aber ist durch anders
nichts / dann durch ihr selbst eigene Uneinigkeit und Auffruhr zu nichte
geworden / und daß sie ihrGlück nicht hat tragen können / darzu denn GOttes
Verachtung / Undankbarkeit und andere Laster und Sünde / ohne zweiffel
geholffen haben. es ist auch die Stadt Wißbu deßgleichen durch Ubermuth und
manichfältige Veränderung deß Regiments / und viel Kriege dardurch zu nichte
geworden. Julinum
ist deßgleichen eine herrliche grosse Kauffstadt der Wenden gewesen / in
Pommern an der See gelegen / und ist durch grosse Niederlage und
Kauffmanschafft so berühmbt / daß zu den Zeiten in Europa ihres gleichen kaum
gewesen / außgenommen / Constantinopel. Und ist also Julinum ein freye
Kauffstadt gewesen / allda die Russen / Dänen / Sachsen / und allerley
Völcker gehandelt haben / und ist jedermann allerley Handel und Wandel frey
gewesen / denn allein man kundte da nicht leyden / welche den Christlichen
Namen bekandten / denn diweil Wandalia den Christlichen Namen noch nicht
angenommen / hatten die von Julin durch öffentliche Edicta verbieten lassen /
daß keine Christen bey ihnen/ in ihrer Stadt Geleyte haben / viel weniger
frey / gleich den andern Völckern handeln möchten: Solche gross Sünde hat
GOtt endlich nicht ungestrafft gelassen / denn nach vielem Glücke und
Victorien / so die von Julin wider die Dänen eine Zeit lang gehabt / hat
durch Gottes Verhängniß sich das Glück umgewendet / und ist Julinum durch die
Dänen eingenommen / verbrandt und ganz zerstöret. Diß seynd
treffliche und sehr märckliche Exempel / darinnen wir Gottes Urtheil und
Gericht sehen / daß er die Sünde / und sonderlich Verachtung seines Nahmens
und Ungehorsam nicht wil ungestraffet lassem / derhalben hoch nötig ist / das
beyde Obrigkeit und Unterthanen sich für GOtt fürchten / erkennen / daß
Friede / gut Regiment und alle Wolfahrt und Glück / allein in Gottes Händen
stehen. Denn er gibt aus Gnaden Land und Städte / Hauss und Hoff und
allerley Nahrunge / Er kan uns auch alles wiederumb umb unserer Sünde und
Undankbarkeit willen nehmen und straffen / und frembden Völckern an andern
Orten geben / als den mächtigen grossen Kauffstedten / gleich wie Wineta und
Julin wiederfahren ist / uns und allen andern Leuten zum Exempel / auff daß
wir uns fürchten / und nicht stolz seyn / und Gottes Gaben nicht missbrauchen
/ dann es hat Gott die Städte / welche also verwüstet / ohn zweiffel allen
andern Kauffatädten in diesem Ort Landes / und sonderlich die Stadt Lübeck
zum Exempel fürgebildet / auff daß sie in gleichen Fällen lernen GOTT fürchten
/ und ihn für Augen haben. Von der
Stadt Hamburg. Die Stadt
Hamburg ist die aller älteste Stadt unter diesen wendischen Städten / denn
Carolus / dess Pipini Vater / hat seinen Stadthalter allda gehabt / und war
willens einen Metropolitanum darein zusetzen / der das Häupt seyn solte in
Geistlichen Sachen / in allen dessen Städten und Landen / solches aber ist
durch die Kriege der Dänen und Pommern verhindert / dann dieselben haben
Hamburg eingenommen / und aussgebrandt / und dess Keysers Statthalter Utonem
vertrieben / hernach aber hat der Keyser geboten / die Stadt wiederum zu
bauen. Vom Anfang
der Stadt Lübeck. Johann Micraelius: Altes Pommern Land: nebst historischer Erzehlung, dero in Nähisten Dreißig Iahren, bis
auff des Letzten Hertzogen Bogißlai XIV. Todt, in Pommern Vorgegangenen
Geschichten. Bd. 1: Erstes bis Drittes Buch. Bd. 2: Viertes bis Sechstes Buch. Nachdruck der Ausgabe Alt Stettin 1639-1640. Hildesheim: Olms, 2009. (Anmerkung: Faksimiliedruck; in Fraktur). [Johann Micraelius 1597-1658] Band 6, Seite 551: Ein Register der Pommerschen Städte. Nach Erzehlung der Geschlechter von der Ritterschaft
wollen wir nun auch die Pomrische Städte besehen. Dieselbe geben der
Obrigkeit ihre jährliche Tribut / dz heisset Orböre / und sind dabey für alle
andere Aufflage privilegieret. Und weil sie für diesem viel Krieg und Gefahr
/ insonderheit zur See gehabt / als hetten sie sich ins gemein mit kostbahrem
Geschütze und Artolery versorget / ihre Mawren und Welle auch / nach der
laten Manier / wider feindlichen Anfall wol vewahret. Und weil das Land mit
vielen Flüssen / die hindurch biß ins Meer gehen / von Natur befestiget ist /
als haben sie es vor die vmbliegende Potentaten nebenst ihren Fürsten vnnd
der Ritterschafft offtmahlen mit grosser Tapfferkeit erhalten. Sie gebrauchen
mannigerley Recht / vnd wie die Fürsten und Lehenleute dem Kayserrechte / die
auff den Dörffern aber gemeiniglich Schwerinisch Recht haben / also gilt bey
ihnen an etlichen Ortern Lübisch / an etlichen Sächsisch oder Weichbilden
Recht. Im Land zu Rügen hat es ein Landrecht / so Wendisch ist / und
dabeneben hat es in jeglicher Stadt sondere Satz- vnd beliebungen / das also
die mannigfaltigkeiten des Rechten offt viel wunders und beschwerunge
gebieret. Doch sind in dem Schwerinischen und Wendischen Recht viele
Verenderungen gemachet / vnd vile vnbilligkeiten drinnen abgeschaffet vnnd
geendet. Laut der alten Urkunden / sind die Bürgermeister- und Rhats Empter
erstlich in dieses Land mit dem Christenthumb gekommen / vnd der Sachsen
Weise und Gesetze dasmahl erst beliebet worden / welches doch nicht
gleichwohl also zu verstehen / als wenn die alte Wendische Städte auch nicht
ihre Obrigkeiten gehabt hetten / welche wider ihren Witz vnd Verstand / vnd
gutes Regiment / so sie geführet / vnd keine Anarchey oder Hauptloses Wesen
zulässet / lauffen würde. Aber die Obrigkeiten waren dermasen vnd mit solchen
Nahmen ode Emptern nicht bestellet / wie jetzund geschicht. Die Städte hetten
auch schon / ehe dz Sachsen Recht ins Land gekommen / ihre schöne / vnd
wolhergebrachte Privilegia / vnd representierenten in Kriegeszügen die
Infanterey oder das Fußvolck / eben wie die von Adel die Reuterey
ausstafierten. Aber besagte Privilegia sind in folgenden Zeiten mercklich
vermehret. Wer vnterdes der alten / aber nunmehr eines theils verstöreten
Städte / die vor / vnd bey der Wenden ankunfft in Pommern gewesen sein /
beschreibung wissen will / lese unser erstes Buch am lxx. vnd ixxi. Capitul /
wie auch im andern Buch das ix. xv. xvi. xvii. xxxviii. lxix. Capittul / da
wird er von Rugio / Laciburg / Bunitz / Virin / Viritz, Julin / Sunnonia /
Wineta / Arcona / Larentz / Groswyn / Bodona / Zizina / Samelding / Lepzky /
Rethre / Sardis / Lebbin / nachrichtung funden. Unterdes so im folgenden
Register wegen der Praecedenz in Actibus Luvialibus / bey einer oder andern
Stadt es nicht getroffen were / sol diese Ordnung … Band 6, Seite 609: Barth Barth ist zweiffels ohn ein Sitz der alten Langobarden
gewesen / wie wir das schon in der Historij vnter andern daraus abgenommen /
dass sie annoch im Wapen einen Kopff mit einem langen Barthe führet. Von Ihr
ist zuvor ein gantz Land / darinnen Stralsund / Grimmen vnd Tribbesees lieget
/ genennet. Anno mcclvi. hat Jaromarus aus Rügen der Stadt Barth Recht
geendert ins Lübisch Recht / vnd hat ihr zu gefallen das Schloß abbrechen lassen
/ vnd sich verbunden / kein Closter in der Stadt auffzulegen. Alihie hat
Bogislaus XIII. lange Zeit haußgehalten / vnd fünff junge Herren mit
sonderbarer Frewde des Landes aufferzogen / auch vnterdes dz Schlß sehr fein
ausgebawet. Wie die Pommern bald mit den Rugianern vnd Dähnen / bald mit den
Mechelnbürgern / vmb diese Stadt vnd das vmbliegende Land gefochten / ist im
2. und 3. Buch außfürlich verzeichnet. Drumb ist es nicht noth / alles hie zu
widerholen. Die Pommersche Chroniken geben den Bürgern dieses Lob / das sie
freundlich vnd guthertig sein / Kirchen und Schulen gerne erhalten vnd
befordern / vnd ein guth Bier brawen / welches hin vnd wider zu Wasr vnd zu
Lande / wegen seines sonderbahren kühlenden Geschmacks / verführet wird. Der
Acker vmm diese Stadt ist sehr guth vnd kornreich: Die Fische auch in gutem
kauffe / vnd ob wol die See darann scheusset / so ist doch der Boden / den
die See zwischen Landes machet / nicht so tieff / daß man mit grossen
Schiffen dadurch siegeln kann. Was für eine Wallfahrt zu Kertez im Dorfe bey
Barth / da Maria sollte gnedig sein / im mcdv. Jahr geworden / vnd was sonst
mit dieser Stadt vorgelauffen / ist in der Histroij gesagt. Der Synodus
dieses Ortes bestehet in xx. Pfarren vnter dem Schwerinischen Sprengel. Das Arme
Hauß des Heiligen Geistes ist im mdlxxxi. Jahr gebawet. Sie lieget sub. Latitud. 54.34 & sublonitud. 37.90. vnnd
helt Marckt des Sontags nach Michaelis. Anno mdlxxxvii. ist die Stadt fast
ganz ausgebrand / vnd hat den Schaden nicht woll ersetzen können. Doch hat
der alte Hertzog Bogislaff XIII. da Er sein Hoflager daselbst hette / vnd
seine fünff junge Printzen erzogt ( ihr allenthalben auffgeholfen / wo er
gekont / vnd auch da selbst eine schöne Buchdruckerey angerichtet / die doch
nach seinem Todte nicht mehr gebrauchet ist. Band 6, Seite 616: Usedom / vorzeitten Usennam oder Ußnam genannt / davon
die ganze Insul den Namen hat / liegt sub latit. 53.47 & longit. 38.30.
und ist vorzeiten nach untergang ihrr nachbawrlichen Stadt Wineta / eine
grosse und feste Stadt gewesen / als dafür Polen und Dänen / ehe sie es
einbekahmen / genug zu thun hetten / wie aus der History zusehen. Im Jahre
mcdlxxiij. hat sie grossen Schaden vom Fewr gelitten / dadurch die ganze
Stadt mit dem Rathhause / und fast allen Bürgerlichen Gütern / davon wenig
hat können gerettet werden / verfallen ist. Und nach diesem hat sie nicht
können wieder zu rechtem auffnehmen kommen. Vergangen Jahr hat sie auch wegen
occupierung der Insel Usedom / von den Kayserlichen grossen Schaden gelitten
/ eben wie daß ganze beflossene Land / darin sie liegt. Der Synodus dieses
Ortes besteht in x. Pfarren. Der Hauptmann über Pudgla / da zuvorn ein
Kloster gewesen / hat über das gantze beflossene Land / im Namen des
Landesfürsten / zu commendieren. Und auffm gemeldeten Lande Usedom ist ein
Gehege von Hasen / Rehen / Hirschen / und Wilden Schweinen gewesen // daß die
Fürsten das Wild darinnen zu jederzeit / als in einem Garten zubekommen
hetten. Sed olim sic erat. Diese Stadt helt Marckt Sontags nach Maria
Heimsuchung / und vierzehen tage nach Michaelis. Band 2 Seit 142: Bey gemelter Vermengung aber der Wandalier vnd Wenden in
diesem vnserm Pommerlande / hat sich dasselbe mercklich verbessert / vnd in
Städten / Gewerben vnd Handlungen vber die massen sehr zugenommen / wie
daß insonderheit aus den zuvor sehr schönen und mächtigen / aber nunmehr
verstörten und verderbten Städten / Wineta / Julin / Arckon / Carentz /
Großweyn und dergleichen abzunehmen ist. Wineta / wie Helmoldus und Crantzius zeugen / ist eine
von den grössesten Städten in gantz Europa gewesen / und haben drinnen Slaven
/ mit andern Völckern vermischt / gelebt. Den Sachsen auch / ward
vergunstiget / drinnen zu wohnen / und Handel und Wandel zutreiben / wann sie
nur ihre Religion / oder vielmehr Aberglauben / unangefochten liessen.
Sonsten waren die Bürger Gastfreye und sittsame Leute / und hetten wegen
ihres erbahren guten Wandels bey Jederman grossen Rhumb. Die Griechische /
oder vielmehr Reussische / und andere frembde Kaufleute haben sich auch zu
ihnen gethan / und dadurch die Stadt uber die massen grossm Reichtumb
erfüllet / also das ihre Stadt Thor / wie man saget / von Ertz und
Glockenguth bereitet / vnd das Silber so gemein geworden ist / das man es zu
gemeinen und ungeachtet Sachen verbraucht hat. Diese Stadt Wineta ist im
Lande zu Usedom / zwo Meilen von Wolgast / beim Ausfluss der Peene / gelegen
gewesen / und siehet man noch heutiges Tages bey stillem Wetter mitten im
Meere jegen Damerow vber / eine halbe Meyle weges vom Ufer / wie die Gassen
in einer schönen Ordnung liegen / und das Theil alleine dieser Stadt / as man
unter dem Wasser sehen kann / ist grösser / als der begrif er Stadt Lübeck /
anzusehen. Diese mächtige Stadt sol endlich / wie Crantzius saget / in grosse
Bürgerliche Uneinigkeit gerathen sein. Dann weil Wenden / Wandalier und
Sachsen darinnen wohneten / hat ein jeglicher den Vorzug haben wollen / und
die Wandalier haben Haraldum den König der Schweden und Hemming den König von
Dennemarck / zun zeiten Caroli des Grossen / zu hülff wider die Wenden
gerufen: welche dann auch sich auffgemachet / und die schöen Stadt Winetam
sollen zerstöret haben. Doch hat wol daz Meer den grösten Schaden dabey
gethan: dann dasselbig ist außgerissen / hat den groß Theil von den pommerschen
Ländern versencket / und zugleich der Stadt Wineta den Garauß gemachet. Durch
solche mächtige Fluten und Ergiesung des Meeres / Haben unsere Pommerische
Länder unterschiedliche mahl grossen Schaden gelitten. Und halt ich dafür /
dass da jetzund der Pommersche Boden voll Wasser lieget / zwischen Rügen und
der Garoischen See / wol vorzeiten schöne Landschafften gewesen seyn;
Insonderheit weil Ptolomaus noch zu seiner Zeit von keiner krumme des
Pommerschen Meeres gewußt. Also da jetzund das grosse Haff mit Schiffen
besiegelt wird / ist zuvor Land gewesen / und hat man darauff gepflüget und
geseet. Und es wissens die / so an solchem grossen und frischen Hafe wohnen /
dass noch immerfort das Land sich mehr und mehr wegspület / und Wasser weiter
umb sich frisst. Die Schifleute bekennens auch / das der Boden den Anzeigung,
des versunckenen Landes von sich geben. Von Julino haben wir schon etwas Nachrichtung im vorigen
Buche gegeben / vnd ist dieselbe insonderheit nach Wineta vntergang eine
berümbte / ja die grösseste Stadt in gantz Europa geworden / wie Adamus
Bremensis saget. Denn aller Handel / der zuvor bey Wineta war / ward theils
nach Wißbuy in Gothland, theils nach Julin geleget. Vnd ist Julin so mächtig
geworden / das sie grosse Kriege geführet vnd Svenottonen den König aus
Dennemarck wol drey mahl gefangen davon gebracht hat. Wie Volckreich sie
gewesen / erhellet darauß / das da Bischoff Otto sie endlich zum Christlichen
Glauben beredete / sich bey xxii tausend Menschen zur Tauffe angegeben haben.
Aber kurtz nach Bischoff Ottonis Abscheid sind die Julinischen wiederumb vom
Christlichen Glauben abgefallen / vnd da sie im anfang es sommers alter
Gewohnheit nach ein Heydnisch Fest mit Fressen vnd Sauffen feyreten / vnd
einen alten verlegenen Götzen wiederumb herfür sucheten / vnd denselben mit
grossem Frolocken in der Stadt herumb trügen / vnd dabey Christum auffs
hefftigste verlästerten / ist / wie die Pommerische Chronicken vermeldn /
Fewr aus der Lufft in die Stadt gefallen / hat sie angezündet / vnd in grund
verbrandt / daß sie gantz zu nichte geworden ist. Vnd ob sie wol wieder daran
baweten / ist sie doch nie zu vorigen kräfften gekommen / sondern Gottes Hand
ist schwer vber sie immerfort geblieben / biß auch endlich im Jahr mclxx.
Waldemar König in Dennemarck durch die Divenow mit einer ansehnlichen
Schiffarmee auff sie zugieng / sie vnversehens vberfiel / plünderte / vnd
auffs newe verbrandte. Vnd ist nachmahln eine geringe Stadt Wollin / da kjaum
zwey oder drey hundert Bürger anjetzo wohnen mögen / nicht weit von dem
vorigen berumbtenb Julin / erbawet worden / die in der Ordnung der Städte
erstlich nach Schlaw / Golnow un Gartze gesetzet wird / vnd in der Folge noch
nicht so viele Mannschafft / als Regenwalde und Belgard / herauß geben / vnd
in den Steweren nicht so viele / als Greiffenhagen / vnd Lawenburg
auffbringen kann. Also auch die Stadt Arcona / die auf Witow im Lande zu
Rügen auff einem sehr hohen Berge ist gelegen gewesen / vnd auff einer seyten
das Meer / auff der andern einen Wall von funfftzig Elen hoch gehabt hat /
dessen vnterste halbe Theil von Leim vnd tichter Erden. Das oberste von
geschurtzeten Plancken vnd Stacketen / mit vielen starcken Blockhäusern
verwahret war / ist / da sie noch in tieffer Finsternus des Heydenthumbs
steckete / von bemeltem Waldemar König von Dennemarck / mit hülffe der
Fürsten von Pommern Bogislaff vnd Casimir / des Nahmens den Ersten / zwey
Jahr für der Verstörung der Stadt Julin / auch eingenommen / vnd der berümbte
Tempel des Suantevits / welchem sie den Zehenden von allem Einkommen gaben /
vnd ihme noch darzu ccc. Pfere hielten / vnd alles / was sie darmit
aubeten / vnd erwürben / in seine Kammer brachten drinnen verbrand worden.
Vnd da sich der Fürste zu Rügen drauff wider die Fürsten von Pommern feindselig
bezeigete / sind sie mit einem Kriegsheer in Rügen gefallen / vnd haben die
herrliche Stadt in grunde zerbrochen vnd zu nicht gemachet / das man heutiges
Tages da nichtes find / als blossen Acker / so gepfüget wird. Neben Arcona st
noch eine Stadt im Lande zu Rügen mit Nahmen Carentz gewesen / welch ezu
einer Zeite eben das Vnglück auch gehabt hat. In derselben als sie gemelter
König von Dennemarck belagerte / sind sieben tausent Mann gefunden worden.
Sie ist aber ebener massen von den Fürsten von Pommern zerstöret / weil sie
sich zu Dennemarck mehr als zu Pommern halten wollte / vnd kann man ihre
Städte kaum an jetzo finden. Weiters waren noch mehr Städte / die theils durch Krieg
/ theils ich weis nicht durch was Vnglück / in unserm Pommerlande / gantz sind
zu grunde gegangen / als: Großwyn / so an der Peene gelegen / nicht ferne von
Ancklam; Dodona / zwischen der Ina vnd Rega; Zezina / zwischen der Persante
vnd Bra; Mircho / bey anfang der Lebe; Lepzky bay der Leben Außflus; Vnd
insonderheit die Haupt Stadt der Loyzer Rethre vnd Redegast / von der wir
kurtz zuvor meldung gethan haben. Conrigius, Hermanus: Exercitatio De Urbibus
Germanicis. - [Online- Ausg.]. - Helmaestadi[i] : Mullerus, 1641 http://diglib.hab.de/drucke/973-helmst-dr-1s/start.htm XXIX. Caeterum in exstruendis urbibus Germanicas gentes superarunt
Vendi, illi qui circa selculum Christianum sextum quicquid est inter Salam et
Vistulam fluvios, mare Svevicum vel Balthicum usque in Holstenios Saxones, ea
temperstare habitatioribus Germanis vacuum, occuparunt. Hos enim jam aetate
Caroli Magni et Vrbes et castellan colusisse, suaque habuisse et Balthicum
mare emporia, haud difficile est probate ex Franicis Annalibus, omnium
antiquissimo harum rerum monument. Memorant enim anno 789. Dragvviti
VVilsorum trans Albium urbem: anno 789. Obotritorum etiam trans Albium
quadedam castella et urbem à anis aut capta aut oppugnata: Rerich item nobile
empoium ad Oceanum vel potius mare Balthicum ab iisdem destruetum translatis
inde negociatoribus: anno 809. Smeldingorum quandam urbem maximam ab
Obotritis captam. Hi vero populi Venedici omnes trans albim vixerunt ad
Varnum usque, mare Balthicum et Cimbricam Chersonesum. Sivera quoque sunt
quae de VVinetha Vsedomi insulae urbe circa annum Christi 830. vela b Heldungo Sueciae rege eversa, vel marinis fluctibus
(fluetibus) hausta nonnullis (inter quos et Chytraeus Saxoniae l.i)
narrantur, habuit jam tum et Pomeraniae littus urbem frequentia
commericorium, magnificentia, pibus et potential florentißimam. Forte ja tum
et Iulinum famosum emporium et anno 1168. a VValdemaro
I Daniae Rege dirutum floruit. CXXXII. Quod procul dubio contigit haud alia de causa quam quod eo
tempore plebs et collegia haber, patricij vero haud satis observarent artes
conservandae Oligarchiae. Ex eo vero pro Oligarchijs Varie passim vel democratiae
vel aristocratiae vel mixti status nati. Quorum omnium constitutions, morbos,
pericula, salute, remedia exponere fortassiis operae quidem esset pretium
maximum, no stamen hocie neattingemus quidem, tam nobile argumentum in aliud
tempus reijcientes. F I N I S. Matthäus
Merian (Herausgeber und Illustrator) und Martin Zeiller
(Textautor): Topographia Electoratus Brandenburgici et
Ducatus Pomeraniae, Frankfurt
am Main, 1652. S. 119–121. http://de.wikisource.org/wiki/Topographia_Electoratus_Brandenburgici_et_Ducatus_Pomeraniae:_Usedom Usedom / Von
dieser Fürstlichen Pommerischen Stadt schreibet offt: und auch erst
vorgedachter Micraelius lib. 6. Pomer. p. 616. seq. also: Usedom /
vorzeiter Usenam / oder Ußnam genandt / davon die gantze Insul den Namen hat
/ liget sub latitud. 53. 47. et longitud. 38. 30. Und ist vorzeiten / nach
Untergang ihrer Nachbaurlichen Stadt Wineta / eine grosse / und feste Stadt
gewesen / als dafür Polen / und Dänen / ehe sie sie einbekamen / genug zu
thun hatten / wie auß der Histori zusehen. Im Jahr 1473. hat sie einen grossen
Schaden vom Feur erlitten / dadurch die gantze Stadt mit dem Rathhause / und
fast allen Burgerlichen Gütern / davon wenig hat können gerettet werden /
verfallen ist. Und nach diesem hat sie nicht können zu rechtem Auffnehmen
kommen. Vergangen Jahr hat sie auch / wegen occupirung der Insul Usedom / von
den Käyserlichen grossen Schaden gelitten / eben wie das gantze beflossene
Land / darin sie liget. Der Synodus dieses Orthes bestehet
in zehen Pfarren. Der Hauptmann über Pudgla / da zuvorn ein Closter gewesen /
hat über das gantze beflossene Land / im Namen deß Landsfürsten / zu
commendiren. Und auffm gemeldeten Lande Usedom ist ein Gehege von Hasen /
Rehen / Hirschen / und wilden Schweinen gewesen / daß die Fürsten das Wild
darinnen zu jederzeit / als in einem Garten zu bekommen hatten. Sed olim sic
erat. Diese Stadt hält Marckt Sontags nach Mariae Heimsuchung / und 14. Tage
nach Michael. Biß hieher der Autor. Der auch von der obgedachten Weiland
mächtigen Stadt Wineta / im zweyten Buch / und am 15. Capitel / also
berichtet: Wineta / wie Helmold. und Crantz. zeugen / ist eine von den
grössesten Städten in gantz Europa gewesen / und haben drinnen die Slaven mit
andern Völckern vermischet / gelebet. Den Sachsen auch ward vergünstiget
drinnen zuwohnen / und Handel / und Wandel zutreiben / wann sie nur ihre
Religion / oder vielmehr Aberglauben / unangefochten liessen. Sonsten waren
die Burger Gast-frey / und sittsame Leuthe und hatten / wegen ihres erbaren /
guten Wandels / bey jederman grossen Ruhm. Die Griechische / oder vielmehr
Reussische / und andere frembde Kauffleuthe / haben sich auch zu ihnen gethan
/ und dadurch die Stadt mit über die massen grossem Reichthum erfüllet / also
/ daß ihre Stadt-Thor / wie man saget / von Ertz / und Glockengut / bereitet /
und das Silber so gemein geworden ist / daß man es zu gemeinen / und
ungeachteten Sachen verbrauchet hat. Diese Stadt Wineta ist im Lande zu
Usedom 2. Meilen von Wolgast / beym Ausfluß der Peene / gelegen gewesen / und
sihet man noch heutiges Tages bey stillem Wetter mitten im Meere / gegen
Damerow über / eine halbe Meil Wegs vom Ufer / wie die Gassen in einer
schönen Ordnung ligen / und das Theil alleine dieser Stadt / das man unter
dem Wasser sehen kan / ist grösser / als der Begriff der Stadt Lübeck / anzusehen.
Diese mächtige Stadt soll endlich / wie Crantz. saget / in grosse Bürgerliche
Uneinigkeit gerathen seyn / dann weil Wenden / Wandalier / und Sachsen
drinnen wohneten / hat ein jeglicher den Vorzug haben wollen; und die
Wandalier haben Haraldum den König von Dennemarck / zun Zeiten Caroli deß
Grossen (umbs Jahr Christi 796. ungefähr /) zu Hülffe wider die Wenden
geruffen; welche dann auch sich auffgemachet / und die Stadt Winetam sollen
zerstöret haben / doch hat wol das Meer den grössesten Schaden dabey gethan /
dann dasselbige ist ausgerissen / hat ein groß Theil von den Pommerischen
Ländern versencket / und zugleich der Stadt Winerae den Garaus gemachet.
Durch solche mächtige Fluten / und Ergiessung deß Meeres / haben unsere
Pommerische Länder unterschiedliche mal grossen Schaden gelitten. Und halt
ich darfür / daß da jetzund der Pommerische Boden voll Wasser liget /
zwischen Rügen / und der Garoischen See / wol vorzeiten schöne Landschafften
gewesen seyn; insonderheit weil Ptolemaeus noch zu seiner Zeit / von keiner
Krümme deß Pommerischen Meeres gewust. Also / da jetzund das grosse Haff mit
Schiffen besegelt wird / ist zuvor Land gewesen / und hat man darauff
gepflüget / und gesäet. Und es wissens die so an solchem grossen und frischen
Haff wohnen / daß noch immer fort das Land sich mehr und mehr wegspühlet /
und das Wasser weiter umb sich frisset. Die Schiffleuthe bekennens auch / daß
der Boden eine Anzeigung deß versunckenen Landes von sich gebe. Und dieses saget abermals unser Autor. Aber wieder auff Usedom
zukommen / so ist es Micraelius d. lib. 2. p. 221. seq. von der oberwehnten
Belager- und Eroberung dieser Stadt / von den Dähnen / und Polen / beschehen
/ zulesen. Als Bischoff Otto von Bamberg wieder aus Pommern nach Hauß zoge /
so hat diese grosse Stadt Ußdom / in seinem Abwesen sich zum Christenthum
begeben. Und da er umbs Jahr 1128. wieder in Pommern kam / so haben sich
alhie / im Pfingst-Fest / Gräfflich / Adelich / und andere vornehme Personen
/ so auff dem Landtage alda versamlet waren / tauffen lassen. Anno 1183. ward
Usedom vom König aus Dennemarck vergebens belagert. A. 1630. hat der König
aus Schweden bey dreytausend Mann auff der Insul Usedom aussitzen lassen /
fand aber da keinen Widerstand / und nahm solchen Orth Landes / von sechs
Meilen in die Länge / unverhindert ein. D. Daniel Cramer / in seiner
Pommerischen Kirchen-Histori / darinn er auch von theils der obern Sachen
zulesen / schreibet lib. 2. c. 27. Usedom ist ein beflossen Land in Pommern /
welches dem Wollinischen Wer?? zunächst an der Seiten ligt / und durch??
Schwyne / welche zwischen beyde Länder hinfleust / an die Ost-Seiten /
abgescheiden wird; gegen Sudosten stösset das Frisch-Haff daran; gegen Suden
gehet die Peene / gegen Westen ligt das Land zu Rügen. Nordwerts gehe die
Balthische offne See etc. Anno 1637. bekamen die Käyserischen nach Einnehmung
der Schantze bey Peenemünde / etliche Böthe / und Kahne / zu Hand / setzeten
etliche Reuter und Knechte bey zwey tausend / in Eil / auff diese Insul /
bemächtigten sich derselben / und macheten die / so sich nicht auff die Swyne
retirirten zu nichte. Weil aber hiedurch die Seepässe der Stadt Stetin in
grosser Gefahr stunden / wolte General Banier hierzu mit still sitzen / begab
sich eilfertig auff Wollin / ??? auch etliche Schiffe
von Stralsund / durch Ammiral Blumen herzuführen / und stellete sich in
solche Verfassung / daß die Käyserlichen als sie allen Vorrath in dem Lande
zu Usedom verzehret / dasselbe wiederumb verliessen. Wer ein mehrers von
Usedom / und sonderlich von der gedachten untergangenen Statt Wineta zuwissen
begehrt / der lese auch Chytr. in Sax. p. 10. seq. Joh. Ang. à Werdenh. de
Rebusp. Hans. p. 3. c. 23. p. 329. C. Ens in delic. apodem. per German. p. 277. Herman. Conringium de Urbibus
Germanicis, th. 29 et 86. Und Hermann Bonnum in
der Lübeckischen Chronic A. j. ij. Joan Blaeu: Atlas Maior, 1665 (socio / socit) wineta emporium
olim celeberimum aquarum estu absorptum vineta (sing. nominativ) emporium (i, n, (gr. fw.)
handelsplatz, markt) emporos (i, m (gr. fw.)) kaufmann; akk +
inf. olim (adv.); 1. einst, vor zeiten, ehemals;
2. (nicht klass.) seit langem, längst celeber, bris, bre (nachklas.:
celeber, bre) 1. berühmt, gefeiert,
bekannt, viel genannt, allgemein verbreitet 2. festlich, feierlich
(begangen) 3. (v. örtl.) stark
besucht (urbes), belebt, reich an, stark bevölkert (urbs) 4. (ovid) oft
wiederholt, oft gebraucht celeber-im-um? SUPPERLATIV? aqua ae f (arch. gen.
aquai) pl. genetiv: 1. wasser; 2. meer, see, fluss
3 pl. -ae magnae
(od. ingentes) hochwasser, überschwemmung 4 agmen aquarum
regenguss 5 pl. a) quellen
b) heilquelle(n), bad 6
wasserleitung 7 (prop.) tränen 8 ein gestirn aquarius (aqua)
I. adj. a um: um das wasser, die wasserleitung betreffend
II. subst. i m: 1. wasserträger 2. wassermann
(sternbild) absorbeo ab-sorbere,
ab-sorbui 1. verschlingen, hinunterschlürfen,
-schlucken 2. verschlingen, mit sich
fortreissen (estu) absorptum esse
infinitiv passiv perfekt Eigener Übersetzungsansatz: (ich weiss / es ist bekannt / es ist
überliefert,) vineta wurde einst / vor zeiten / ehemals als berühmtester /
gefeiertster / bekanntester / am meisten genannter / mit dem besten ruf
geehrter / feierlichster / festlichster / am stärksten besuchter / belebteste
/ reichster / am stärksten bevölkerter handelsplatz des meeres / der see und
vom meer / von der see fortgerissen / verschlungen / verschluckt. Zedler: Grosses vollständiges
Universallexikon, 1735 Wineta, lat. Vineta, die
erste und älteste Stadt auf der Insel Usedom in Vor-Pommern, zu dem
Fürstentum Rügen gehörig. Sie hat von den Wenden, die diese Gegend lange in
Besitz gehabt, vermutlich ihren Namen bekommen; Wiewohl Marperger davor hält,
dass es eine phönizische Pflanz-Stadt gewesen sei. Sie war ums Jahr 470
(Anmerkung: möglicherweise ist hier die islamische Zeitrechnung gemeint, denn
Adam von Bremen berichtet das 1075, und oft wird eine arabische Quelle mit
herangezogen) eine von den grösten Städten in ganz Europa, wenigstens die
vornehmste Stadt in Pommern, und haben darinnen die Sclaven und andere
Völcker vermischt gelebt. Sie soll 7 Meilen gegen Abend von der heutigen
Stadt Wollin an zu rechnen, an der See oder zwo Meilen von Wolgast bey dem
Ausflusse der Peene in das Meer gelegen gewesen seyn. Den Sachsen ward auch
vergünstigt, darinnen zu wohnen, und Handel und Wandel zu treiben, wenn sie
nur deren Einwohner, welche Heydnische Sclaven waren, ihre Religion oder
vielmehr Aberglauben unangefochten liessen. Denn die Bürger waren dem
Christenthum spinnefeind, und durffte keiner ohne Lebens-Gefahr davon
sprechen. Sonsten waren die Bürger gastfreye und sittsame Leute, und hatten
wegen ihres ehrbaren und guten Wandels bey jedermann grossen Ruhm. Die
Griechische oder vielmehr Reussische, und andere fremde Kauff-Leute haben
sich auch zu ihnen gethan, und dadurch die Stadt mit über die Massen grossen
Reichthum erfüllet, also dass ihre Stadt-Thore, wie man saget, von Ertzt- und
Glocken-Gut bereitet, und das Silber so gemein worden ist, dass man es zu
gemeinen und ungeachteten Sachen verbraucht hat. Es hatten die Griechen oder
Reussen sammt den Juden ihre eigene Gassen daselbst. Diese mächtige Stadt
soll endlich, wie Crantzius saget, in grosse Bürgerliche Uneinigkeit gerathen
seyn, denn weil Wenden, Wandalier und Sachsen drinnen wohneten, hat jeglicher
den Vorzug haben wollen, und die Wandalier haben Haralden, den König der
Schweden, und Hemmingen, den König von Dänemarck, zu den Zeiten Carls des
Grossen, zu Hülffe wider die Wenden geruffen. Welche denn auch sich
aufgemacht, und die schöne Stadt Wineta im Jahr 796 sollen zerstöret haben.
Doch hat wohl das Meer den grössten Schaden dabey gethan; Denn dasselbe ist
ausgerissen, hat ein gross Theil von den Pommerschen Ländern versenket, und
zugleich der Stadt Wineta den Garaus gemachet. Der Ort gehöret
anjetzo dem König in Preussen. Herr Hübner in seiner Politisch. Histor.
I IV Theil, p. 533 saget, es wäre diese Stadt von dem Schwedischen
König Hardungen im Jahr 830 zerstört, aber auch nachgehends wieder angebaut
worden, bis sie endlich zur Zeit Keysers Conrads II, und also zu Anfang des
elfften Jahrhunderts entweder vom Erdboden, oder von der See sey verschlungen
worden. allein es haben andere mit mehr Wahrscheinlichkeit dargethan, dass
sie schon ums Jahr 796 ihr plötzliches Ende erreicht habe. Nimmt man also
dieses letztere an, so ist nicht möglich, dass sie König Hardung sollte
zerstört haben, da sie nicht mehr gewesen ist. Engelhusius in Chron. ad An.
888. gedencket dieser Stadt und deren Zerstörung unter Kayser Arnolfo
folgender gestalt: Danorum Rex inter alia destruxit civitatem Slavorum nobilissimam,
Winetam nomine, infinibus Slaviae, Teutonic Wentland ubi nunc Saxones sunt
stagnales. Haec civitas nihil non habuit juncundi ac rari. Maxima fuit civitatum
Europae, cujus hospitalitate moribusque nulla gens benignior aut honestior
poterat inveniri. Ibi fuit templum plurium Deorum, quorum Idolum principale
dicebatur Redegast. Istorum terram nunc possident Saxones, Slavis in villis
adhuc manentibus. Sonsten berichtet
man, als wenn noch heutiges Tages etwa 2 Meilen von Damerow, eine halbe Meilweges
vom Ufer, die Ueberbleibsel solcher Stadt, und wie die Gassen in einer
schönen Ordnung liegen, bey stillen und schönen Wetter unten im Wasser können
gesehen werden, und sey dieses Ueberbleibsel allein grösser, als der Begriff
der Stadt Lübeck anzusehen, wie denn der Pommerische Herzog Philipp der
I, welcher 1560 gestorben ist, diese unterirdische Stadt gar soll ausmessen
lassen, und befunden, dass sie eine halbe Meile lang und fast drey Viertel
Meil-Weges breit gewesen. Micraelius bestätigt auch mit den
Zeugnissen der Schiffer, dass wo jetzt das grosse Haff, ehedem Land gewesen
sey. Micraelii Antiquit. pomeran. Lib. II, p. 97
u. f. Helmold L.I Chron. Slav. c. 2. Crantz Vand. cap. 19. 20. Schneiders Beschreibung
des Oder-Stroms, p. 317. u. f. Zeilers Beschreib. der X Kreise, p. 460. Abels
Deutsche und Sächsische Alterth. II Th. p. 305. 370. Altes und Neues Rügen,
p. 14. Hübners vollständ. Geogr. III Th. p. 823. Corvins Fons Latin. II Th.
p. 526. Uhsens Geogr. Histor. Lex.
II Th. p. 539. Wineter, Volck, siehe
Winuler Selma Lagerlöf: Die wunderbare Reise des kleinen
Nils Holgersson mit den Wildgänsen Aus dem Schwedischen von Mathilde Mann. Verlag Bild, 2011. Kapitel 13: Zwei Städte
(Vineta und Visby) Auf dem Meeresgrund Sonnabend, den 9. April Es wurde eine stille, klare Nacht. Die wilden
Gänse machten sich nichts daraus, Unterschlupf in einer der Grotten zu
suchen, sie standen und schliefen oben auf der Klippenfläche, und der Junge
hatte sich in das trockene Gras neben die Gänse gelegt. Es war heller
Mondschein in jener Nacht, so hell, dass es dem Jungen schwer wurde,
einzuschlafen. Er lag da und dachte darüber nach, wie lange er von zu Hause
fort gewesen war, und er rechnete aus, dass drei Wochen verflossen waren,
seit die Reise begann. Gleichzeitig fiel ihm ein, dass heute der Abend vor
Ostern war. „Über Nach kommen also die Hexen von
Blakulla heim“, dachte er und lachte im Stillen. Denn vor Kobolden und Nixen
war er ein wenig bange, aber an Hexen und Zauberer glaubte er gar nicht. Wären an jenem Abend Hexen in der Luft
gewesen, hätte er sie sicher sehen müssen. Der Himmel war so hell und klar,
dass auch nicht der kleinste schwarze Punkt sich in der Luft bewegen konnte,
ohne dass er ihn entdeckte. Während er so dalag, die Nase in die
Luft, und über das alles nachdachte, gewahrte er etwas Hübsches. Die
Mondscheibe stand ganz und rund hoch oben, und davor kam ein groser Vogel
geflogen. Er folg nicht an dem Mond vorbei, aber es sah so aus, also ob er
aus ihm herausgeflogen käme. Gegen den hellen Himmel nahm sich der Vogel
kohlschwarz aus, und die Flügel reichten von dem einen Rand der Mondscheibe
bis zu dem andern. Erhielt die Richtung so genau inne, dass es für den Jungen
so aussah, als sei er auf die Mondscheibe gezeichnet. Der Körper war klein, der Hals lang und
dünn, und ein Paar lange, dünne Beine hatte er nach hinten ausgestreckt. Der
Junge sah sofort, dass es ein Storch sein müsse. Einen Augenblick später liess sich Herr
Langbein, der Storch, neben ihm nieder. Er beugte sich über den Jungen und
stiess ihn mit dem Schnabel, um ihn wach zu bekommen. Der Junge richtete sich sofort auf.
„Ich schlafe nicht, Herr Langbein“, sagte er. „Wie kommt es, dass Sie mitten
in der Nacht ausgeflogen sind? Und wie sieht es auf Glimmingehus aus? Wollen
Sie mit Mutter Akka sprechen?“ „Es ist zu hell, um über Nacht zu
schlafen“, antwortete Herr Langbein. „Deswegen beschloss ich, hierher nach
Karlsinsel hinüber zu reisen und dich, mein Freund Däumling, aufzusuchen. Von
einer Fischmöwe erfuhr ich, dass du über Nacht hier seiest. Ich bin noch
nicht nach Glimmingehus gezogen: ich wohne noch in Pommern.“ Der Junge freute sich ungeheuer, dass
Herr Langbein gekommen war, um ihn zu sehen. Sie redeten über alles Mögliche
miteinander wie alte Freunde. Schliesslich fragte er Storch, ob der Junge
nicht Lust habe, einen kleinen Ritt in dem schönen Mondschein zu machen. Ja, das wollte der Junge für sein Leben
gern, wenn der Storch nur dafür sorgen wollte, dass er vor Sonnenaufgang zu
den wilden Gänsen zurückkam. Das versprach der Storch, und dann ging es von
dannen. Herr Langbein flog wieder gerade nach
dem Mond hinauf. Sie stiegen und stiegen, das Meer sank tief hinab, aber der
Flug ging so wunderbar leicht, es war fast, als lägen sie still in der Luft. Der Junge fand, die Reise habe eine
unnatürlich kurze Zeit gewährt, als sie sich wieder zu der Erde hinabsenkten.
Sie landeten an einem einsamen Strand,
der mit feinem, weissem Sand bedeckt war. An der Küste entlang lief eine
Reihe von Flugsanddünen mit Riedgras auf dem Gipfel. Sonderlich hoch waren
sie nicht, aber sie hinderten doch den Jungen, das Land zu übersehen. Herr Langbein stellte sich auf eine
Sandbank, zog das eine Bein unter sich in die Höhe und bog den Hals zurück,
um den Kopf unter den Schnabel zu stecken. „Jetzt kannst du hier am Strand
ein wenig umherspazieren“, sagte er zu Däumling, während ich mich ausruhe.
Gehe aber nicht weiter weg, als dass du dich zu mir zurückfinden kannst.“ Der Junge wollte nun erst auf eine der
Dünen hinaufklettern, um zu sehen, wie es dahinter aussah. Als er aber ein
paar Schritte gegangen war, hörte er etwas gegen seinen Holzschuh klirren. Er
beugte sich hinab und sah, dass im Sand eine kleine Kupfermünze lag, die so
von Grünspan verzehrt war, dass sie fast durchsichtig erschien. Sie war so
klein und schlecht, dass er nicht einmal Lust hatte, sie aufzunehmen, sondern
sie mit dem Fuss wegstiess. Als er sich aber wieder aufrichtete,
erschrak er, denn kaum zwei Schritt von ihm, ragte eine hohe Mauer mit einem
Torweg mit Türmen darüber auf. Eben noch, als sich der Junge
niederbeugte, hatte das Meer dort gelegen, blank und glitzernd, und jetzt war
es durch eine lange Mauer mit Zinnen und Türmen seinen Blicken entzogen. Und
gerade vor ihm, wo eben noch ein Haufen Tang gelegen, gähnte nun das grosse
Tor. Der Junge begriff, dass dies eine Art
Spuk sein müsse. Aber davor brauchte er ja nicht bange zu werden, fand er. Da
waren keine Kobolde oder anderer Teufelskram von der Art, dem in der Nacht zu
begegnen er sich immer scheute. Die Mauern wie auch der Torweg waren so
prächtig, dass er grosse Lust empfand, zu sehen, was dahinter sein könne.
„Ich muss wirklich untersuchen, wie dies hier zusammenhängt“, dachte er
und begab sich in das Tor hinein. In der tiefen Torwölbung sass die
Wachtmannschaft in bunten Gewändern mit grossen Puffärmeln und mit
langschaftigen Hellebarden an der Seite; sie spielten Würfel und dachten nur
an das Spiel und beachteten den Jungen nicht, der an ihnen vorübereilte. Jenseits des Tores kam er auf einen
freien, mit grossen, glatten steinernen Fliesen belegten Platz. Ringsum
standen hohe, prächtige Häuser, und lange, schmale Strassen gingen von dort
aus. Auf diesem Platz wimmelte es von
Menschen. Die Männer trugen lange, pelzgefütterte Mäntel über kostbaren
Unterkleidern aus Seide. Baretts mit Straussenfedern sassen ihnen schief auf
dem Kopf und über der Brust hingen breite, goldene Ketten. Sie waren alle so
prachtvoll gekleidet, als könnten sie Könige sein. Die Frauen hatten hohe, spitze Hauben
auf dem Kopf und lange Kleider mit engen Ärmeln. Auch sie waren prächtig gekleidet,
jedoch längst nicht so kostbar wie die Männer. Es war ja ganz so wie in dem alten
Märchenbuch, das seine Mutter zuweilen aus der Truhe nahm und ihm zeigte. Er
Junge wollte seinen Augen nicht trauen. Aber noch merkwürdiger als die Männer
und die Frauen, war die Stadt selber. Jedes einzelne Haus war so gebaut, dass
es den Giebel nach der Strasse kehrte, und diese Giebel waren so verziert,
dass man glauben sollte, sie wollten miteinander wetteifern, welcher von
ihnen der feinste sei. Wer auf einmal so viel Neues zu sehen
hat, kann es nicht alles in seinem Gedächtnis bewahren. Aber der Junge konnte
sich trozdem später erinnern, dass er zackige Giebel gesehen hatte, wo auf
jedem Absatz Bilder von Christus und seinen Aposteln standen, Giebel, wo eine
Nische neben der andern lag, bis zur Spitze hinauf, alle mit geschnitzten
Figuren darin ,Giebel, die mit bunten Glasstücken eingelegt waren, und Giebel
aus weissem und schwarzem Marmor, gestreift und gewürfelt. Während der Junge umherging und dies alles
bewunderte, befiel ihn auf einmal eine fürchterliche Eile. „So was hab ich
mein Lebtag nicht gesehen, und so was bekomme ich auch nie wieder zu sehen“,
sagte er zu sich selber. Und dann begann er, die ganze Stadt zu durchlaufen,
Strasse auf und Strasse ab. Die Strassen waren eng, aber nicht
dunkel und leer wie in den Städten, durch die er auf seiner Reise gekommen
war. Überall wimmelte es von Menschen. Alte Frauen sassen vor ihren Türen und
spannen, ohne Spinnrocken, nur mit einer Spindel. Die Läden der Kaufleute
waren wie Marktbuden nach der Strasse zu offen. Alle Handwerker standen mit
ihrer Arbeit unter offenem Himmel. An einer Stelle wurde Tran gekocht, an
einer andern Stelle wurden Häute gegerbt, an einer dritten Stelle befand sich
eine lange Reiferbahn. Hätte der Junge nur Zeit gehabt, so
hätte er alle möglichen Handwerke erlernen können. Hier sah er, wie der
Maschinenschmied es machte, wenn er einen Brustharnisch aushämmerte, wie der
Goldschmied edle Steine in Ringe und Armbänder fasste, wie der
Drechsler seine Eisen führte, wie der Schuhmacher seine feinen, roten Schuhe
versohlte, wie der Goldzieher güldene Fäden zwirnte, wie die Weber Einschläge
von Gold und Silber in ihre Gewebe webten. Aber der Junge hatte keine Zeit,
stillzustehen. Er stützte dahin, um soviel wie möglich zu sehen, ehe es alles
wieder verschwand. Die hohe Mauer lief rings um die ganze
Stadt und schloss sie ab, wie ein Zaun ein Feld abschliesst. Am Ende jeder
Strasse sah er sie mit ihren Türmen und Zinnen. Oben auf der Mauer gingen
Kriegsknechte mit blitzenden Helmen und Harnischen. Als er quer durch die ganze Stadt
gelaufen war, kam er an ein anderes Tor in der Mauer. Davor lagen das Meer
und der Hafen. Der Junge sah altmodische Schiffe mit Ruderbänken quer darüber
und mit hohen Überbauten vorne und achtern. Einige lagen da und nahmen Lasten
ein, andere warfen gerade die Anker aus. Lastträger und Kaufleute bewegten
sich durcheinander. Überall herrschte Leben und Geschäftigkeit. Aber auch hier, fad er, habe er keine
Zeit zum Verweilen. Er eilte wieder in die Stadt zurück und kam nun zu dem
grossen Marktplatz. Da lag der Dom mit drei hohen Türmen und einem tiefen,
gewölbten Toreingang. Die Wände waren so mit Bildhauerarbeit geschmückt, dass
da auch nicht ein Stein war, der nicht seinen Zierrat gehabt hätte. Und
welche Pracht sah man nicht durch das offene Portal schimmern: goldene Kreuze
und goldbeschlagene Altäre und Priester in goldenem Ornat! Der Kirche
gegenüber lag ein Haus mit Zinnen und einem einzigen wolkenragenden Turm. Das
war wohl das Rathaus. Und zwischen der Kirche und dem
Rathaus, um den ganzen Marktplatz herum, standen die schönen Giebelhäuser mit
den mannigfaltigsten Ausschmückungen. Der Junge hatte sich warm und müde
gelaufen. Er meinte, dass er nun das Bemerkenswerteste gesehen hatte, und
begann deswegen, langsamer zu gehen. Die Strasse, in die er jetzt eingebogen
war, musste wohl die sein, in der die Stadtbewohner ihre prächtigen Kleider
kauften. Überall vor den kleinen Buden wimmelte es von Leuten, während die Verkäufer
steife, geblümte Seidenstoffe, dicken Goldborkat, bunten Sammet, leichte
Florschals und Spitzen wie Spinnengewebe über den Ladentisch ausbreiteten. Vorhin während der Junge durch die
Strassen lief, hatte ihn niemand beachtet. Die Menschen hatten gewiss
geglaubt, dass es nur eine kleine, graue Maus sei, die an ihnen
vorüberhuschte. Aber jetzt, wo er langsam die Strasse hinaufging, erblickte
ihn einer der Kaufleute und winkte ihm zu. Der Junge wurde anfänglich bange und
wollte vorüberlaufen, aber der Kaufmann winkte und lächelte und bereitete ein
herrliches Stück Seidendamast auf dem Ladentisch aus, um ihn zu locken. Der Junge schüttelte den Kopf: „Ich
werde nie so reich, dass ich auch nur eine Elle von dem Stoff kaufen kann“,
dachte er. Aber nun hatten sie ihn in jeder
einzelnen Bude die ganze Strasse entlang erblickt. Wohin er auch den Kopf
wendete, stand da ein Krämer und winkte ihm zu. Sie liessen ihr reichen
Kunden stehen und dachten nur an ihn. Er sah, wie sie in die fernsten Winkel
der Läden liefen, um das Beste hervorzuholen, was sie zu verkaufen hatten,
und dass ihre Hände förmlich vor Eifer zitterten, während sie es auf dem
Ladentisch auslegten. Als der Junge immer weiter ging, sprang
einer von den Kaufleuten über den Ladentisch, lief ihm nach und breitete ein
Stück Silberbrokat und eine gewebte Tapete, die von Farben strahlte, vor ihm
aus. Der Junge konnte es nicht lassen, über ihn zu lachen; der Krämer musste
doch begreifen, dass so ein armer Wicht wie er nicht solche Sachen kaufen
konnte. Er stand still und streckte seine beiden leeren Hände aus, damit sie
sehen sollten, dass er nichts besass, und ihn dann in Ruhe liessen. Aber der Kaufmann hob einen Finger in
die Höhe, nickte und schob ihm den ganzen Haufen von schönen Waren hin. „Ob
es wohl seine Absicht ist, das alles für ein Goldstück zu verkaufen?“, dachte
der Junge. Der Kaufmann holte eine kleine,
abgegriffene und schlechte Münze hervor, die elendeste, die man sehen konnte und zeigte sie ihm. Und er war so darauf
erpicht zu verkaufen, dass er noch ein paar schwere silberne Becher auf den
Haufen legte. Da fing der Junge an, in seinen Taschen
zu wühlen. Er wusste ja freilich, dass er nicht einen roten Heller besass,
aber er konnte es doch nicht lassen, nachzufühlen. Alle die anderen Kaufleute standen
rings um ihn her, um zu sehen, was aus dem Handel wurde, und als sie sahen,
dass der Junge in seiner Tasche wühlte, liefen sie sämtlich an ihre
Ladentische, nahmen die Hände voll von silbernen und goldenen Geschmeiden und
boten sie ihm an. Und alle machten sie ihm begreiflich, dass sie keine andere
Bezahlung verlangten, als einen einzigen, kleinen Schilling. Aber der Junge wendete sowohl seine
Jackentaschen wie auch seine Hosentaschen um, damit sie sehen sollten, dass
er nichts besass. Da füllten sich die Augen aller dieser vornehmen Kaufleute,
die so viel reicher waren als er, mit Tränen. Er war schliesslich ganz
gerührt, als er sie so bekümmert sah, und er grübelte darüber nach, ob er
ihnen nicht auf irgendeine Weise helfen könne. Da fiel ihm die kleine,
grünspanige Münze ein, die er vorhin am Strand hatte liegen sehen. Er kehrte um und lief aus Leibeskräften
die Strasse hinab, und das Glück war ihm hold, denn
er kam zu demselben Tor hinaus, in das er hineingekommen war. Er stürzte
hindurch und machte sich daran, nach der kleinen, grünspanigen Kupfermünze zu
suchen, die vor einer halben Stunde am Strand gelegen hatte. Er fand sie auch wirklich, aber als er
sie aufgenommen hatte und nach der Stadt zurücklaufen wollte, sah er nichts
als das Meer vor sich. Keine Mauer, keinen Torweg, keine Wächter, keine
Strasen, keine Häuser, nichts weiter als das blose Meer. Die Augen des Jungen füllten sich mit
Tränen. Zuerst hatte er geglaubt, dass das, was er sah, nichts als
Augenverblendung sei, aber das hatte er wieder vergessen. Er hatte nur daran
gedacht, wie schön das alles war. Er trauerte förmlich darüber, dass die
Stadt verschwunden war. Im selben Augenblick erwachte Herr
Langbein und kam zu ihm hin. Aber er hörte ihn nicht. Der Storch musste ihn
mit dem Schnabel puffen, um sich bemerkbar zu machen. „Du stehst hier auch
wohl und schläfst“, sagte Herr Langbein. „Lieber Herr Langbein!“, sagte der
Junge. „Was für eine Stadt war denn das, die eben noch hier lag?“ – „Hast du
eine Stadt gesehen?“, sagte der Storch. „Du hast geschlafen und geträumt,
glaub mir nur!“ – „Nein, ich habe nicht geträumt“, sagte Däumling
, und er erzählte dem Storch alles, was er erlebt hatte. Da sagte Herr Langbein: „Ich glaube nun
doch, dass du hier am Strand eingeschlafen bist, Däumling, und das alles
geträumt hast. Aber ich will dir doch nicht verhehlen, dass Bataki, der Rabe,
der der gelehrteste Vogel der Welt ist, mir einmal erzählt hat, dass hier an
der Küste in alten Zeiten eine Stadt gelegen hat, die Vineta hiess. Sie war
so reich und glücklich, dass es niemals eine prächtigere Stadt gegeben hat,
aber ihre Einwohner frönten leider dem Stolz und der Prunksucht. Zur Strafe
dafür, sagte Bataki, wurde die Stadt Vineta von einer Sturmflut überschwemmt
und versank ins Meer. Aber die Einwohner können nicht sterben, und ihre
Stadt geht auch nicht zugrunde. Und in einer Nacht alle hundert Jahre steigt
sie in aller ihrer Herrlichkeit aus dem Meer auf und liegt genau eine Stunde
auf der Oberfläche der Erde.“ „Ja, das muss richtig sein“, sagt Däumling,
„denn das hab ich gesehen.“ Ist aber die Stunde vergangen, so
versinkt sie wieder ins Meer, wenn nicht ein Kaufmann in Vineta während
dieser Zeit etwas an ein lebendes Wesen verkauft hat. Hättest du, Däumling,
nur die allergeringste Kupfermünze gehabt, um sie dem Kaufmann zu geben, so
läge Vineta noch hier an der Küste, und die Menschen könnten dort leben und
sterben wie andere Menschen.“ „Herr Langbein“, sagte der Junge,
„jetzt kann ich verstehen, warum Sie in der Nacht kamen und mich holten. Das taten
Sie, weil Sie glaubten, dass ich die alte Stadt erlösen könnte. Ich bin so betrübt, dass es nicht so
ging, wie Sie wollten, Herr Langbein!“ Er hielt sich die Hände vor die Augen und
weinte. Es war nicht leicht zu unterscheiden, wer trauriger aussah, der Junge
oder Herr Langbein. Die lebende Stadt Montag, den 11. April Den zweiten Ostertag am Nachmittag
waren die wilden Gänse und Däumling wieder auf der Reise. Sie flogen über
Gulland hin. Die grosse Insel lag eben und flach unter ihnen. Die Erde war
gewürfelt, genau so wie in Schonen, überall lagen Kirchen und Gehöfte. Der
Unterschied aber war, dass zwischen den Feldern hier mehrere Haine standen,
und dann waren die Gehöfte nicht zusammengebaut. Und da waren keine grossen
Schlösser mit Türmen und mit weigedehnten Parks. Die wilden Gänse hatten Däumlings wegen
den Weg über Gulland eingeschlagen. Zwei Tage war er jetzt ganz wie
verwandelt gewesen und hatte kaum den Mund aufgetan. Das kam daher, weil er
an nichts weiter denken konnte als an die Stadt, die sich ihm auf eine so
wunderbare Weise gezeigt hatte. Er hatte nie etwas so Schönes und Prächtiges
gesehen, und er konnte sich nicht darüber beruhigen, dass es ihm nicht vergönnt
gewesen war, sie zu erretten. Er war sonst gar nicht sentimental veranlagt,
aber er trauert geradezu über die schönen Gebäude und die grossen, stolzen
Menschen. Sowohl Akka wie auch der Gänserich
hatten Däumling zu überzeugen gesucht, dass es ein Traum oder
Augenverblendung gewesen war, der Junge wollte aber nicht mit sich reden
lassen. Er war überzeugt, was er gesehen hatte, das hatte er gesehen, und
diese Überzeugung konnte niemand erschüttern. Er ging so betrübt umher, dass
eine Reisekameraden seinetwegen besorgt wurden. Gerade als der Junge am
allerniedergeschlagensten war, kehrte die alte Kaksi zu der Schar zurück. Der
Sturm hatte sie nach Gulland verschlagen, und sie war um die ganze Insel rund
herum gewesen, ehe sie von einigen Krähen gehört hatte, dass sich ihre
Reisegefährten auf der Kleinen Karlsinsel befanden. Als Kaksi hörte, was sich mit Däumling
zugetragen hatte, sagte sie plötzlich: „Wenn es eine alte Stadt ist, über die
Däumling trauert, so wollen wir ihn gar bald trösten. Kommt nur mit, dann
will ich euch an einen Ort führen, den ich gestern gesehen habe! Er soll bald
wieder ganz fröhlich werden!“ Dann nahmen die Gänse Abschied von den
Schafen, und nun befanden sie sich auf dem Weg nach dem Ort, den Kaksi
Däumling zeigen wollte. So betrübt er auch war, konnte er es doch nicht
lassen, wie gewöhnlich auf das Land hinabzusehen, über das er dahinflog. Vor seinen Augen sah es so aus, als
wenn die ganze Insel von Anfang an eine hohe, steile Klippe gewesen war, so
wie die Karlsinsel , nur natürlich viel gröser. Aber
dann war sie auf irgendeine Weise flach gemacht. Jemand hatte eine grosse
Kuchenrolle genommen und damit darüber hingerollt, als sei sie ein Stück
Teig. Nicht so zu verstehen, dass sie eben geworden war wie ein Stück
Flachbrot, das war sie nicht. Als sie an der Küste entlangflogen hat er an
mehreren Stellen hohe, weisse Kalkwände mit Grotten und Felssäulen gesehen,
aber an den meisten Stellen waren sie mit der Erde gleich gemacht, und die
Küste fiel leise abschrägend nach dem Meer zu ab. Auf Gulland hatten sie einen schönen
und friedlichen Sonntagnachmittag. Es war mildes Frühlingswetter, die Bäume
hatten grosse Knospen, Frühlingsblumen bedeckten die Weisen die langen,
dünnen, herabhängenden Zweige der Pappeln wehten, und in den kleinen Gärten,
die vor jedem einzelnen Haus lagen, standen die Stachelbeerbüsche ganz grün. Die Wärme und das fruchtbare Wetter
hatten die Leute auf die Wege und die Hofplätze hinausgelockt, und wo mehrere
versammel waren, wurde gespielt. Und nicht nur die Kinder spielten, sonder
auch die Erwachsenen. Sie warfen mit Steinen nach einem Ziel und schickten
ihre Bälle mit einem gewaltigen Schwung in die Luft hinauf, dass sie nahe
daran waren, die wilden Gänse zu treffen. Es sah lustig und munter aus, dass
die Erwachsenen also spielten, und der Junge würde sich auch darüber gefreut
haben, wenn er seinen Kummer darüber, dass er die Stadt nicht hatte erretten
können, hätte vergessen können. Aber er musste ja zugeben, dass es
seine schöne Fahrt war. Es lag so ein Sang und Klang in der Luft. Die kleinen
Kinder spielten Ringelreihen und sangen dazu. Und die Heilsarmee war auch
unterwegs. Er sah eine Menge Menschen in schwarzen und roten Anzügen auf
einem Waldhügel sitzen und Gitarre und Messinginstrumente spielen. Auf einem
der Wege kam eine grosse Schar Menschen daher. Es waren Good-Templer, die
einen Ausflug gemacht hatten. Er konnte sie an den grossen Fahnen mit den
goldenen Inschriften erkennen, die über ihnen wehten. Und sie sangen ein Lied
nach dem andern, so lange er sie hören konnte. Der Junge konnte später niemals den
Namen Gulland hören, ohne sofort an Spiel und Gesang zu denken. Lange hatte
er so gesessen und hinabgesehen, aber nun erhob er die Augen. Es ist nicht zu
sagen, wie sehr er staunte. Ohne dass er es bemerkt, hatten die Gänse das
Innere der Insel verlassen und waren westwärts nach der Küste zugeflogen.
Jetzt lag das offene, blaue Meer vor ihm. Doch nicht das Meer war so
merkwürdig, sondern eine Stadt, die an der Küste aufragte. Der Junge kam von Osten, und die Sonne
stand schon niedrig im Westen. Als er sich der Stadt näherte, hoben sich ihre
Mauern und Türme und die hohen Giebelhäuser und Kirchen ganz schwarz von dem
hellen Abendhimmel ab. Daher konnte er nicht sehen, wie es eigentlich mit
ihnen zusammenhing, und einige Augenblicke glaubte er, dass die Stadt ebenso
prächtig sei wie die, die er in der Osternacht gesehen hatte. Als er ganz nahe herankam, sah er, dass
sie der Stadt auf dem Grund des Meeres glich und doch wieder nicht glich. Es
war derselbe Unterschied, als wenn man den einen Tag einen Mann in Purpur und
köstlichem Leinen gekleidet sieht, und den andern Tag in Lumpen. Aber die Stadt hatte wohl einmal so
ausgesehen wie die, an die er denken musste. Sie war ebenfalls von einer
Mauer mit Türmen und Toren umgeben, aber die Türme in dieser Stadt, die über
der Erde stehen geblieben war, standen ohne Dach, hohl und leer da. Die Tore
waren ohne Türflügel, Wächter und Kriegsknechte waren verschwunden. All die
strahlende Pracht war dahin. Nur das nackte, graue Steinskelett war übrig
geblieben. Als der Junge weiter über die Stadt
hinflog, sah er, dass sie zum grösten Teil aus kleinen, niedrigen Häusern
bestand, aber hier und da waren einige hohe Giebelhäuser und einige Kirchen
aus der alten Zeit erhalten. Die Mauren der Giebelhäuser waren weiss getüncht
und ohne den geringsten Schmuck, da aber der Junge erst so kürzlich die
versunkene Stadt gesehen hatte, konnte er sich denken, wie sie ausgeschmückt
gewesen waren: einige mit Bildsäulen und andere mit schwarzem und weissem
Marmor. Und ebenso war es mit den alten Kirchen. Die meisten von ihnen waren
ohne Dach, und ihr Inneres war kahl und leer. Die Fensteröffnungen waren ohne
Scheiben, die Fussböden waren mit Gras bewachsen, und an den Wänden kletterte
der Efeu hinauf. Aber nun wusste er, wie sie einstmals ausgesehen hatten,
dass sie mit Bildsäulen und Gemälden bedeckt gewesen waren, dass sich im Chor
ein reichgeschmückter Altar und goldene Kreuze erhoben hatten, und dass
Priester in goldenem Ornat darin umhergewandelt waren. Der Junge sah auch die schmalen Gassen,
die an so einem _Sonntagnachmittag fast leer waren. Aber er wusste, was für
ein Strom von Schönen, stolzen Menschen dort einstmals hin und her gewogt
war. Er wusste, dass die Strassen wie grose Werkstätten mit allerhand
Arbeitern ganz angefüllt gewesen waren. Nils Holgersson sah aber nicht, dass
die Stadt noch heutigen Tages sowohl merkwürdig als auch schön war. Er sah
weder die traulichen Häuschen in den Hinterstrassen mit den schwarzen Mauern,
weissgemalten Balkenenden und roten Pelargonien hinter den blanken
Fensterscheiben, noch die vielen schönen Gärten und Alleen oder die Schönheit
der efeubekleideten Ruinen. Seine Augen waren so voll von der
Herrlichkeit des Entschwundenen, dass er nichts Gutes in dem erblicken
konnte, was war. Die wilden Gänse flogen ein paarmal
über der Stadt hin und her, damit Däumling alles richtig sehen sollte.
Schliesslich liessen sie sich auf dem grasüberwucherten Boden der
Ruinenkriche nieder, um dort die Nacht zu bleiben. Sie hatten sich schon zum Schlafen
gesetzt, aber Däumling war noch wach und sah durch die zertrümmerten Gewölbe
zu dem blassroten Abendhimmel empor. Als er eine Weile so gesessen hatte,
dachte er, nun wollte er ein Ende machen mit seiner Trauer darüber, dass er
die versunkene Stadt nicht hatte erretten können. Ja, das wollte er tun, seit er nun
diese Stadt gesehen hatte. Wäre die Stadt, die er gesehen hatte, nicht auf
den Grund des Meeres gesunken, so wäre sie vielleicht binnen kurzem ebenso
verfallen wie diese. Sie hätte am Ende der Zeit und der Vergänglichkeit nicht
widerstehen können, sondern hätte bald mit Kirchen ohne Dach und Häusern ohne
Schmuck und öden, leeren Strassen dagestanden, so wie diese. Dann war es doch
besser, dass sie in all ihrer Herrlichkeit unten im Verborgenen bewahrt
worden war. „Es ist gut, dass es kam, wie es kam“,
dachte er. „Hätte ich die Macht, die Stadt zu erlösen, ich glaube, ich würde
es nicht tun.“ Und dann trauerte er nicht mehr darüber. Und da sind gewiss viele unter den jungen
Leuten, die so denken. Aber wenn man alt wird und sich hat gewöhnen müssen,
mit wenigem zufrieden zu sein, da freut man sich mehr über das Visby, das da
ist, als über ein schönes Vineta auf dem Grund des Meeres. Stand: 20.02.2025 https://martin-buehler.hosting.telekom.de |